Übergriffe durch die Polizei

Bundespolitik

(Mit Nachträgen vom 14.04.2012, 23.08.2014, 14.09.2015 und 26.08.2018)

Es kommt in Deutschland leider immer wieder zu Übergriffen von staatlichen Organen auf hier lebende Menschen. Dazu gehören auch ungerechtfertigte Gewaltanwendungen von Seiten der Polizei. Die Opfer können sich in der Regel kaum dagegen wehren. Beschwerden und Strafanzeigen wird unseres Wissens kaum ernsthaft nachgegangen.

Ein Extremfall war der Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh am 07.01.2005 in einer Dessauer Polizeizelle. Der Asylbewerber ist dort verbrannt, ohne dass die Polizei das verhindert hatte. Das Landgericht Dessau-Roßlau hat den Dienstgruppenleiter vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Das Urteil wurde jedoch vom Bundesgerichtshof wegen vieler ungeklärter Fragen aufgehoben und zur Neuverhandlung an das Landgericht Magdeburg verwiesen. Dies ist wohl einer der ganz seltenen Fälle, wo vermutlich auf Grund des öffentlichen Druckes und des beschädigten internationalen Ansehens Deutschlands – oder gar aus eigener Einsicht(?) – ein Gericht in so einem Fall wegen seiner mangelhaften Arbeit kritisiert wurde. - In einem anderen Fall zeigt der bayerische Staat bisher kein allzu großes Interesse daran, aufzuklären, warum zwei Polizisten den „nur“ mit einem Küchenmesser bewaffneten Studenten Eisenberg bei einem Einsatz in Regensburg am 30.04.2009 mit 12(!) Kugeln in angeblicher Notwehr erschossen haben. Erst das massive Nachhaken der Angehörigen, die dazu ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben hatten, und die Proteste der Öffentlichkeit und der Oppositionspolitiker könnten die Oberstaatsanwaltschaft Nürnberg veranlassen, jetzt doch genauer hinzuschauen.

Dass Gewaltanwendungen durch die Polizei kaum nachgegangen wird, liegt u. E. daran, dass es in Deutschland im Unterschied zu den meisten Nachbarstaaten keine unabhängige Stelle („Ombudsmann“) gibt, die eine solche Nachprüfung überhaupt ernsthaft durchführen kann. Zaghafte Versuche, eine solche Stelle auf Landesebene einzurichten, wurden letztendlich von den Bundesländern abgeblockt. So hat beispielsweise der bayerische Landtag – leider auch mit Stimmen unserer Partei – es abgelehnt, eine Art Ombudsmann (unabhängige Kommission) bei der bayerischen Polizei einzurichten, bei der Beschwerden vorgebracht werden können. Unabhängige private Institutionen, wie Amnesty International, können diese Lücke nicht schließen.

Unsere SPD sollte sich dafür einsetzen, dass bundesweit eine unabhängige Stelle („Ombudsmann“) eingerichtet und so ausgestattet wird, dass sie solchen Vorwürfen gegenüber der Polizei wirklich nachgehen kann. Polizeikollegen sind dazu kaum geeignet, daran ändern auch einzelne positive Gegenbeispiele nichts. Denn selbst innerhalb der Polizei kam es in solchen Fällen zu Mobbing, ohne dass sich die davon betroffenen Polizistinnen und Polizisten wehren konnten.

Selbst Staatsanwälte und Gerichte handeln u. E. hier oft auch nicht mit der gebotenen Sorgfalt, wie an dem o. g. Verfahren vor dem Landgericht Dessau-Roßlau deutlich wird. Sinnvoll wäre es, wenn der „Ombudsmann“ auch Beschwerden über andere Behörden und Justiz nachgehen könnte. Das würde auch die Petitionsausschüsse bei den Parlamenten entlasten, die u. E. sowieso nicht unabhängig genug gegenüber den Staatsorganen sind.
14.01.2010 mr

Nachtrag vom 14.04.2012

Vermeintliche und tatsächliche übertriebene Gewalt bei Polizeieinsätzen
(Die Links und Bildnummern /Bild 6/ usw. zur Bildstrecke in der SZ wurden am 24.08.2014 den geänderten URLs in der SZ angepasst.)

Zunächst eine kleine Liste von solchen zufällig ausgewählten Einsätzen in Bayern im Telegrammstil mit Tennessee Eisenberg an erster Stelle:
Abkürzungen: St = Staatsanwalt, Ge = Gericht, k. A. = keine Amtspflichtverletzung (durch die Polizei), /Bild 1/ usw.: Verweis auf die Bilderstrecke „Polizeigewalt“ der Süddeutschen Zeitung /Link/

Regensburg, 30. April 2009: Die Polizei wurde zur Wohnung des 24-jährigen Studenten Tennessee Eisenberg geschickt, weil dieser geistig verwirrt und mit einem Küchenmesser bewaffnet sei. Er war allein in der Wohnung /Bild 6/.
Ergebnis: Er wurde von 12 Polizeikugeln durchlöchert und starb.
St: k. A. ; Oberstaatsanwaltschaft Nürnberg: k. A.; Ge (Klageerzwingungsverfahren): k. A.

Herzogenaurach (Mittelfranken), Oktober 2009: Ein SEK stürmte eine Wohnung, weil Zeugen behauptet hatten, der Sohn der Familie habe eine Schusswaffe /Link1/, /Link2/.
Ergebnis: Ein Knie vom Familienvater kaputt und eine Pfote des Hundes ebenso; eine Waffe wurde nicht gefunden.
Ge: k. A., daher kein Schmerzensgeld

Aschaffenburg, 7. Oktober 2010: Die Frau eines Ehepaares hat die Polizisten einer Polizeistreife bei einer Verkehrskontrolle nach den Namen der Polizisten gefragt.
Ergebnis: Nach Aussage des Ehepaares bzw. der Ehefrau erhielt die Ehefrau einen Faustschlag in den Bauch und wurde zum Revier abgeschleppt. Als sie das Revier verlassen durfte, war ihre Kleidung zerrissen und sie hatte Schwellungen am Hals /Bild 4/, /Link/.
St: k. A.

München, Rosemontag 2011: Eine Frau betritt die Polizeiinspektion am Hauptbahnhof. Sie soll dort dolmetschen. Nach 2 Stunden verließ sie die Wache wieder /Bild 7/.
Ergebnis: Eine große Beule an der Stirn, Schädelprellung, Verstauchungen, Schleudertrauma, Hämatome; Gang zur Toilette wurde verwehrt.
St: k. A. , die Frau dagegen erhielt Strafbefehl.

München, 11. Januar 2010: Die Polizei kommt in eine Wohnung, weil sie wegen Ruhestörung geholt wurde. Der geistig behinderte Sohn wirft mit einem Gegenstand /Bild 12/, /Link/.
Ergebnis: Die Familie wurde zu Boden geworfen.
St: k. A., der Vater muss Strafe zahlen, weil er einen Polizisten geschubst und festgehalten habe. Verteidiger: Der Vater ist blind und hat nur die Hände nach vorne gehalten.

Rosenheim, 3. September 2011: Die Polizei hatte einen 15-Jährigen Jungen abgeführt, der in eine Prügelei geraten war /Bild 2/, /Link/.
Ergebnis: Als er die Polizeistation verließ, war er krankenhausreif geschlagen worden.
Der bayerische Landtag fragte nach, nun wird ermittelt.
Ergänzung vom 23.08.2014: Der Rosenheimer Polizeichef wurde im Nov. 2012 zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt.

Rosenheim, 15. November 2010: Die Polizei hat eine vierköpfige Familie verdächtigt, einen gesuchten Mann zu decken /Link1/, /Link2/.
Ergebnis: Massive Verletzungen der Familienmitglieder.
St: k. A., Anklage gegen die Familienmitglieder

Rosenheim, September 2008: Einem Ingenieur wurde von einer Bekannten Vergewaltigung vorgeworfen, wovon ihn später ein Gericht freisprach /Link/.
Ergebnis: Er soll wegen der angeblichen Vergewaltigungsvorwürfe von der Polizei nackt zur Wache gebracht worden sein.
St: k. A.?

Ein Bericht von Amnesty International /Link/ zählt für Bayern 385 Ermittlungsverfahren wegen polizeilicher Ausübung von Gewalt, Missbrauch oder Zwang für das Jahr 2009 auf (Internetseite des Bayerischen Rundfunks, inzwischen verschwunden). - Bayer. Innenministerium: „So hat die Bayerische Polizei pro Jahr etwa 1,4 Millionen Einsätze mit zum Teil hohem Konfliktpotential. Demgegenüber stehen jährlich ca. 1.750 Beschwerden /Link/. Unbekannt ist die Dunkelziffer und wie oft es zu Verurteilungen kam. In anderen Bundesländern scheint es leider nicht besser zu sein.

Unsere Meinung dazu:

Die Polizisten können bei ihren Einsätzen nie wissen, ob sie bei einem an sich harmlosen Polizeieinsatz plötzlich angegriffen werden und müssen daher immer auf der Hut sein, dabei kann es leider zu Überreaktionen kommen. Bei von vornherein kritischen Einsätzen müssen sie oft mit voller Härte vorgehen, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Es hat immer wieder mal Schwerverletzte oder Tote unter der Polizei im Einsatz gegeben.

Beim Einsatz Eisenberg gab es offenbar enge und zum Teil zugestellte Etagenflure und eine Haustreppe. Und bei kleinen Abständen sind wohl ein mit einem Messer und ein mit einer Pistole bewaffneter Mensch fast ebenbürtig, so dass eine Notwehrsituation denkbar gewesen sein könnte. Bei der geschilderten Situation /Link/ sind sogar Schüsse von hinten als Notwehr denkbar. - Andererseits war vor dem Einsatz klar, dass Eisenberg allein in der Wohnung war und die Polizei mit einem Messer bedrohen könnte. Es ist auch kaum vorstellbar, dass ein Mann, der einen Schlag mit einem Schlagstock auf den Arm erhält, mit dem Messer weiter angreifen kann. Zumindest ist offenbar von dem Einsatzkommando äußerst dilettantisch vorgegangen worden. Es ist auch denkbar, dass einer der Beamten einfach die Nerven verloren hat. Aber darüber enthält der Bericht der Staatsanwaltschaft nichts. Wir können uns auch kaum vorstellen, dass ein Mensch mit 8 Einschüssen noch angreift, so dass es der 12 Schüsse bedarf, ihn kampfunfähig zu machen. Offenbar gab es keine Zeugen, wie z. B. die anderen anwesenden Beamten. Hier wäre noch Klärungsbedarf /Link/ (Link am 24.08.2014 geändert, da frühere Seite „www.eisenberg.de“ nicht mehr in der alten Form existiert.).

Im o. g. Herzogenauracher Fall mit dem angeschossenen Knie mussten die Polizeibeamten mit Schusswaffen rechnen, sodass ihr Vorgehen wohl nicht zu beanstanden ist. Nachdem sich aber herausgestellt hat, dass der Einsatz unnötig war, hätte u. E. der Staat den angerichteten Schaden großzügig einschließlich Schmerzensgeld ausgleichen müssen.

Im Fall des blinden Vaters hätte ein verständiger Richter auf eine Bestrafung des Vaters verzichtet.

In allen Fällen mögen sich die beteiligten Polizeibeamten provoziert gefühlt haben oder sind gar wirklich provoziert worden. Dennoch wären die anderen Fälle, wenn sie sich bewahrheiten würden, skandalös und müssten Konsequenzen für die betreffenden Beamten nach sich ziehen. Polizeibeamte haben nun einmal keine Personen anzurühren - wenn es nicht dienstlich notwendig ist - und nie wehrlose Personen zu misshandeln. Wir kennen das Beweisproblem bei der gegenseitigen Beschuldigung. Verletzungen, die nach einem Kontakt mit der Polizei auftreten, sind u. E. meistens ein Indiz für erfolgte Misshandlungen. Wir haben den Verdacht, dass viele Staatsanwälte Personen aus der Rechtspflege in falsch verstandener Kumpanei schützen, anstatt den Vorwürfen vorurteilslos nachzugehen. Wir kennen das auch aus anderen Fällen. Das mindeste, was man verlangen kann, ist: Wenn Aussage gegen Aussage steht, sollte für beide Seiten der Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“ gelten und nicht nur für Polizisten.

Deshalb fordern wir eine unabhängige Stelle („Ombudsmann“, Schiedsstelle o. ä.), die dem Bundestag unterstellt ist und die solchen Vorwürfen nachgeht. In Bayern will nun das Innenministerium zwei zentrale Ermittlungsstellen - je eine in München und in Nürnberg - einrichten, die vielleicht eine Besserung schaffen /Link/. Das Klageerzwingungsverfahren – wie im Fall Eisenberg beantragt war – ist u. E. ein Pseudo-Rechtsmittel; hier ist der Gesetzgeber gefordert, das Klageerzwingungsverfahren vernünftig auszugestalten. - Wir bitten unsere Partei, die Sache mit der „Polizeigewalt“ bundesweit genau zu verfolgen. Es besteht die Gefahr, dass das Vertrauen in die Polizei beeinträchtigt und der Rechtsstaat weiterhin beschädigt wird, was dann auch die an sich schon schwierige Arbeit der Polizei noch mehr erschweren würde, da die Menschen dann der Polizei mit einer immer größer werdenden Misstrauenshaltung begegnen.
14.04.2012 r

Nachtrag vom 23.08.2014

Verfassungsbeschwerde im Fall Eisenberg nicht angenommen

Der 2. Strafsenat des OLGs Nürnberg kam nach eingehender Prüfung zu dem Ergebnis, dass bei der Tötung des 24-jährigen Studenten Tennessee Eisenberg, Regensburg, durch Polizeibeamte Notwehr vorlag. Am 20.04.2009 wurde die Polizei zur Wohnung des Studenten Eisenberg gerufen, weil er seinen Mitbewohner mit einem Küchenmesser angegriffen hatte. Als die Polizei in der Wohnung eintraf, trat ihr Eisenberg mit einem Messer entgegen.
Aus der Pressemitteilung vom 21.10.2010 des OLGs Nürnberg /Link1/:
Mehrfache Aufforderungen, das Messer wegzuwerfen, wurden von Tennessee Eisenberg ignoriert.
Ein Einsatz von Pfefferspray blieb wirkungslos;
der Versuch, ihm das Messer mit einem Schlagstock aus der Hand zu schlagen, misslang.
Nach „zwei gezielte[n] Schüsse auf Tennessee Eisenberg“ ins „Knie und Oberarm“ („Durchschüsse im Knie- und Armbereich“, s. u. /Link2/) „ging [Eisenberg] nun mit dem Messer in der Hand auf die Polizeibeamten zu, die auf ihn geschossen hatten.
Nach insgesamt zwölf Schüssen auf Eisenberg „verstarb“ er.

Das Bundesverfassungsgericht entschied jetzt, dass die gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts entspreche den verfassungsrechtlichen Anforderungen.“ /Link2/

Die Polizei (mehrere(!) Beamte) muss u. E. schon sehr dilettantisch vorgegangen sein, um in eine Situation zu geraten, einen mit einem Messer bewaffneten Mann, der allein in seiner Wohnung war, aus „Notwehr“ mit 12 Schüssen töten zu müssen.

Die Untersuchung dieses Vorfalls durch die Staatsanwaltschaft lässt bei vielen Bürgern Zweifeln aufkommen, ob in diesem Fall überhaupt ergebnisoffen geprüft wurde. Es wäre ja u. E. sozusagen eine staatsanwaltliche Ermittlung in eigener Sache. Zumal allgemein bekannt ist, dass Sachverständige nicht selten in ihren Gutachten zu einem vom Auftraggeber gewünschten Ergebnis kommen /Link/.

Eine Vorschlag von uns: Der bayerische Justizminister sollte sich für diesen „misslungenen“ Polizeieinsatz bei den Hinterbliebenen des Studenten Eisenberg entschuldigen und ihnen als Zeichen einer Wiedergutmachung einen Geldbetrag (denkbar wären 30.000 Euro) aus einem Entschädigungsfond überreichen.
23.08.2014 mr

Nachtrag vom 14.09.2015

Polizist erschoss Juli 2014 Andre B.

Am 25. Juli 2014 wurde in Burghausen (Oberbayern) der 33-jährige Andre B., ehemaliger Drogendealer, der seine Strafe bereits verbüßt hatte, von einem Beamten (35-jährig) einer Zivilstreife erschossen, als er von den beiden Polizisten - die einen Haftbefehl gegen ihn hatten - fort lief. Andre B. hatte die Polizisten nicht bedroht. Es gab auch keinen Hinweis darauf, dass von ihm eine Gefahr ausging, wenn ihm die Flucht gelungen wäre. Es wurden weder bei ihm noch in seinem Umfeld Drogen gefunden. Es gab also u. E. keinen Grund, Andre B. zu erschießen. Es ist nicht einmal ersichtlich, warum die Zivilfahnder überhaupt Andre B. zu diesem Zeitpunkt festnehmen wollten, denn der Haftbefehl bestand schon seit dem 01. März 2014 und es war bekannt, dass Andre B. bei seiner Mutter oder seiner Freundin wohnte, wo man ihn hätte leicht verhaften können. - Vielleicht wollten sich die beiden Zivilfahnder nur eigenmächtig profilieren.

Art. 66 des Polizeiaufgabengesetzes in Bayern

„Allgemeine Vorschriften für den Schußwaffengebrauch

(1) 1 Schußwaffen dürfen nur gebraucht werden, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. 2 Gegen Personen ist ihr Gebrauch nur zulässig, wenn der Zweck nicht durch Schußwaffengebrauch gegen Sachen erreicht werden kann.

(2) 1 Schußwaffen dürfen gegen Personen nur gebraucht werden, um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. 2 Ein Schuß, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.“

Art. 67 des Polizeiaufgabengesetzes in Bayern
Schußwaffengebrauch gegen Personen

„(1) Schußwaffen dürfen gegen Personen nur gebraucht werden,“

„4. zur Vereitelung der Flucht oder zur Ergreifung einer Person, die in amtlichem Gewahrsam zu halten oder ihm zuzuführen ist
a) auf Grund richterlicher Entscheidung wegen eines Verbrechens oder auf Grund des dringenden Verdachts eines Verbrechens oder“ …

Der Polizeibeamte durfte demnach die Schusswaffe nur einsetzen, „wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs erfolglos angewendet sind oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen“, aber erschießen durfte er Andre B. auf keinen Fall, weil keine Notwehr vorlag. Die Polizeibeamten hätten also erst einmal Andre B. hinterher rennen müssen, zumal der Tatort ein Hinterhof eines Wohnblocks war.

Auffällig ist, dass die zuständige Staatsanwaltschaft Traunstein (Oberbayern) immer noch „herum ermittelt“. So kompliziert ist u. E. der Sachverhalt nämlich nicht. Das Ganze sieht u. E. mehr nach Verschleppung aus und zeigt Parallelen zum Fall Tennessee Eisenberg. Man lässt u. E. solange Untersuchungen und Gutachten erstellen, bis aus Sicht des Staates das gewünschte Ergebnis vorliegt.

Ob der Polizist Andre B. wirklich töten wollte oder „nur“ im Übereifer auf ihn geschossen hat, soll jetzt erst einmal dahin gestellt sein.

In Bayern wird durch das Verhalten von Politikern der CSU-Regierung in großen Teilen der Bevölkerung eine latente Ausländerfeindlichkeit aufrecht erhalten. Z. B. wenn Politiker beim politischen Aschermittwoch auf Stimmenfang am rechten Rand gehen („Sozialamt der ganzen Welt“, „Deutsch Sprechen in der Familie“) oder der Innenminister (CSU) kaum etwas gegen Gewalt aus dem rechten Lager unternimmt, außer leeren Worten. Dass die Bevölkerung viel sozialer auch gegenüber Ausländern denkt als die CSU, zeigt derzeit die spontane Hilfsbereitschaft der Menschen in München gegenüber Flüchtlingen.

Die ausländerfeindliche Grundstimmung könnte dazu geführt haben, dass der Polizeibeamte, als er auf Andre B. schoss, eventuell in ihm keinen Mitmenschen, sondern nur einen kriminellen Russen sah und dadurch seine Hemmschwelle herabgesetzt war.
Wie wir aus eigenen Beobachtungen wissen, gilt unserer Meinung nach vielfach in der Justiz, selbst bei Richtern, das „Heimrecht“, obwohl das durch kein Gesetz gedeckt ist.

Außerdem sollte in einem parlamentarischen Ausschuss untersucht werden, ob die Ausbildung der Polizisten zum Waffengebrauch überhaupt ausreichend ist. Den Polizeibeamten muss unmissverständlich klargemacht werden, dass das Polizeiaufgabengesetz (s. o.) keine Exekution von vermeintlichen oder wirklichen Verbrechern deckt.

  • Wir glauben, dass auch dieser Fall zum Anlass genommen werden sollte, ausländerfeindliche Stimmungen in Bayern abzubauen, anstatt sie aus wahltaktischen Gründen noch zu schüren.
  • Das Verantwortungsgefühl der Polizeibeamten für den Einsatz von Waffen muss gestärkt werden.
  • Die Untersuchung solcher Fälle sollte durch eine neutrale, unabhängige Behörde („Ombudsmann“) erfolgen und nicht wie in diesem Fall durch die Staatsanwaltschaft Traunstein im Wirkungsbereich des „Täters“.

Quellen: /Link1/, /Link2/, /Link3/, /Link4/
14.09.2015 r

Nachtrag vom 26.08.2018

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Traunstein 2016 gegen Polizisten eingestellt.
Trotzdem bleiben viele Fragen offen.

Die Ermittlung der Staatsanwaltschaft Traunstein gegen den Zivilfahnder, der den russischstämmigen Andre B. am 25. Juli 2014 erschossen hatte, wurde im Februar 2016 eingestellt. Der Zivilfahnder habe laut Staatsanwaltschaft „weder vorsätzlich noch fahrlässig den Tod des Mannes verursacht“.

Aus unserer Sicht bleiben viele Fragen offen. So ist weiterhin ungeklärt, warum die Zivilfahnder überhaupt an diesem Tag Andre B. festnehmen wollten und warum einer von ihnen überhaupt in einem belebten Innenhof eines Häuserblockes, wo u. a. Andre B.s Freundin wohnte, schießen musste, obwohl bekannt war, dass Andre B. höchstens ein „kleiner“ - wenn überhaupt noch - Drogendealer war. Laut der Untersuchungen der Staatsanwaltschaft betrug die festgestellte Schussabweichung zwischen 4,5 und 7,1 Grad und stelle daher keine Pflichtverletzung dar. Unsere Vermutung: Weil von einem Zivilfahnder keine größere Schussgenauigkeit erwarten werden kann. Das bedeutet aber, dass Andre B. soweit vom Fahnder entfernt war, dass der Fahnder damit rechnen musste, Andre B. tödlich zu treffen, obwohl für das Schießen u. E. absolut keine Notwendigkeit erkennbar ist. /Link/

Dieser Fall zeigt wieder einmal, wie schon im Fall Tennessee Eisenberg, Regensburg, dass die Polizei - zumindest in Bayern - völlig unzureichend für den Gebrauch von Waffen - vor allem auch psychologisch - ausgebildet wird. Zu dieser Ausbildung gehört u. E. nicht nur die Fertigkeit im Schießen, sondern auch eine Schulung zum verantwortungsvollen Gebrauch einer Schusswaffe. Wenn die angehenden Polizisten nur lernen, sich auf den Korpsgeist verlassen zu können und dass Staatsanwaltschaften fast immer Polizisten schützen werden und auch der Aufschrei aus der Öffentlichkeit nicht allzu laut ist - im Gegenteil, Stammtischparolen „Dealer, geschieht ihm recht“ u. ä. -, befürchten wir, wird sich daran wohl kaum etwas ändern.
Der Zivilfahnder wird - wenn er nicht völlig abgestumpft ist - sein ganzes Leben die Bürde tragen müssen, einen Menschen grundlos erschossen zu haben.

Es ist u. E. Aufgabe der für Amtsträger Verantwortlichen einschließlich der Politiker, ihren Angestellten und Beamten auch das ethische und psychologische Rüstzeug für ihre Aufgaben vermitteln zu lassen.
26.08.2018 r

 

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