Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung

Bundespolitik

Am 2. März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil verkündet, dass die im Dezember 2007 eingeführten Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung nicht verfassungsgemäß – d.h. nicht im Einklang mit dem Grundgesetz – sind und dass die gesammelten Daten deshalb unverzüglich zu löschen sind. /Link/

Laut diesen Gesetzen waren die „Telekommunikationsdiensteanbieter verpflichtet“, „praktisch sämtliche Verkehrsdaten von Telefondiensten (Festnetz, Mobilfunk, Fax, SMS, MMS), E Mail Diensten und Internetdiensten vorsorglich anlasslos“ 6 Monate lang zu speichern. Dabei wurde z. B. gespeichert, wer mit wem von wo aus telefoniert hat, aber nicht der Inhalt der Gespräche. Bei Handys konnte so nachträglich festgestellt werden, wo sich jemand aufgehalten hatte.

Der Gesetzgeber hat damit die EU-Richtlinie 2006/24/EG von 2006 umgesetzt, allerdings hatte die EU es den Mitgliedstaaten überlassen, wie sie diese Richtlinie ausgestalten wollen.

Das Verfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung als solche nicht verboten. Deshalb kann man dem Verfassungsgericht nicht vorwerfen, es handle gegen europäisches Recht. Das Verfassungsgericht verlangt nur, dass bei einer neuen Gesetzgebung zur Vorratsdatenspeicherung die verfassungsmäßig garantierten Rechte der Bürger gewahrt bleiben. Dazu gehören:

  1. ein hohes Maß an Datensicherheit. Der Staat darf diese Sicherheitsanforderungen nicht nur einfach von den Telekommunikationsanbietern, die die Daten sammeln, verlangen, sondern er muss diese Sicherheit selbst durch Vorschriften und ihre Überprüfung garantieren.
  2. Der Gesetzgeber muss genau festlegen, dass die Daten nur verwendet werden dürfen bei
    2.1. „begründetem Verdacht einer auch im Einzelfall schwerwiegenden Straftat“. Die Straftaten sind genau aufzulisten.
    2.2. Abwehr „einer hinreichend belegten, konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“ oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr gegenüber dem Staat. Durch diese einschränkende Regelung, zu welchem Zweck auf Vorrat gespeicherte Daten nur verwendet werden dürfen, ist automatisch ausgeschlossen, dass Nachrichtendienste (Geheimdienste) Zugriff auf solche Daten erhalten dürften. Und zwar deshalb, weil die Nachrichtendienste aufgabengemäß auch ohne konkreten Anlass allgemein Aufklärung zu leisten haben. Der Hinweis auf eine allgemeine Terrorgefahr würde keinen Grund für Vorratsdatenspeicherung liefern.
  3. Transparenz der Datenübermittlung
    „Der Gesetzgeber muss die diffuse Bedrohlichkeit, die die als solche nicht spürbare Datenspeicherung und -verwendung für die Bürger erhalten können, durch wirksame Transparenzregeln auffangen. Hierzu zählt der Grundsatz der Offenheit der Erhebung und Nutzung von personenbezogenen Daten.“
  4. Anforderungen an den Rechtsschutz und an Sanktionen
    Es sind wirksame rechtliche Sanktion bei Rechtsverstößen vorzusehen einschließlich einer Haftung für die Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass keine dieser o. g. Forderungen bei den Gesetzen für die Vorratsdatenspeicherung erfüllt war und hat deshalb die Gesetze als nicht verfassungsgemäß erklärt.

Unser Heiko Maas, der die Zukunftswerkstatt „Demokratie und Freiheit“ leitet, „begrüßte die Entscheidung, die das Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger stärke.“ /Link/
„Ein Grundrecht auf Privatsphäre, Datenschutz und Selbstbestimmung müsse auch im Zeitalter grenzenloser Kommunikation und Informationsvermittlung garantiert werden.“

In den Unionsparteien und den Exekutivorganen (z. B. Polizei) dagegen sieht man schon wieder die Verbrechens- und Terrorbekämpfung gefährdet.
Die SPD-Eulen begrüßen das Urteil. Schon früher hatten wir verschiedentlich auf die Wahrung von Bürgerrechten hingewiesen und auch die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt. (s. „Vorschläge zur Erneuerung unserer sozialdemokratischen Partei Deutschlands“, Kap. 2.2)

Aus unserer Sicht sind die Bedingungen, die das Bundesverfassungsgericht an die Vorratsdatenspeicherung knüpft, selbstverständlich und zeigen, wie das Parlament manchmal einfach die Grundrechte missachtet. Nur weil der damalige Bundesinnenminister Schäuble (CDU) von der „Terrorhysterie befallen“ war und der Koalitionsfriede gewahrt werden sollte, hat unsere ehemalige Justizministerin diese Gesetze erlassen. Wir hoffen, dass die SPD daraus gelernt hat und zukünftig stärker als bisher auf die Bürgerrechte (hier den Datenschutz) achten wird. Es darf z. B. nicht mehr möglich sein, dass man dem/der EhepartnerIn, den/die man ausspionieren will, ein Handy mitgibt und dann beim Telefonanbieter abfragen kann, wo sich der/die EhepartnerIn aufgehalten hat.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich nur auf Telekommunikationsdaten. Unsere SPD sollte einen konstruktiven Beitrag dazu leisten, dass zunächst die Gesetze zur Speicherung dieses Mal sorgfältig formuliert werden. Im Prinzip sollten aber alle Datensammlungen in Deutschland die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien erfüllen.

Die SPD sollte sich unbedingt dafür stark machen,

  • dass nur notwendige Datensammlungen angelegt werden dürfen.
  • dass der Zweck jeder Datensammlung gesetzlich genau festgelegt wird.
  • dass gewährleistet wird, dass private oder staatliche Datensammlungen nicht unbefugt angezapft werden können und jeder Zugriff dokumentiert wird.
  • dass Transparenz über alle Datensammlungen besteht und dass die Daten wieder gelöscht werden, wenn dem nicht gesetzlich genau festgelegte Gründe entgegenstehen.
  • dass Schutzvorschriften bestehen, wenn Datensammlungen weitergegeben bzw. verkauft werden sollen. Beispielsweise gibt es viele soziale Internet-Netze wie „spickmich“, die nicht in die Hand von gewerblichen Anbietern oder Personen mit undurchsichtigen oder gar kriminellen Absichten gelangen dürfen.
  • dass den Bürgern bei jedem Schaden durch eine Datensammlung Entschädigung zusteht; dies gilt auch für immaterielle Schäden wie die Verletzungen des Persönlichkeitsrechts.
  • dass der Rechtsweg für jeden offen ist.

Ein aktuelles Beispiel: Google („Street View“) müsste von jedem, dessen Haus in Deutschland eingescannt werden soll oder bereits eingescannt ist, vom Eigentümer vorher dafür eine schriftliche Erlaubnis einholen. Eine Liste im Internet, wo man sich dann wieder löschen kann, ist u. E. nicht ausreichend.

Wir sind zuversichtlich, dass unsere SPD in der Wählergunst wieder steigen wird, wenn sie sich ernsthafter als bisher mit der Achtung der Bürgerrechte auseinandersetzt.
Unser Heiko Maas hat hier u. E. schon den richtigen Anfang gemacht.
05.03.2010 r

 
 

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