Super-GAU in der Justiz

Allgemein

(Mit Nachträgen vom 26.01.2013 und 25.02.2013)

Der Fall Mollath

Der Fall Gustl Mollath begann im Jahr 2001 mit einem jahrelangen Streit zwischen ihm und seiner damaligen Ehefrau. Es folgte eine juristische Auseinandersetzung, in deren Verlauf Herr Mollath Anzeige erstattete, nämlich, dass seine Frau eine Großbank beim Verschieben von größeren Geldsummen unterstütze. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ging der Anzeige nicht nach, sondern im Gegenteil, das Landgericht Nürnberg-Fürth wies Herrn Mollath 2006 endgültig in eine psychiatrische Klinik ein, wo er bis heute ist.

Der Fall wird jetzt nur auf Grund von Medienberichten und Protesten aus der Bevölkerung neu geprüft. D. h. aus Sicht vieler Menschen hat die Justiz völlig versagt. Deshalb wirft dieser Fall eine Reihe grundsätzlicher Fragen auf:

Was die Menschen besonders beunruhigt:

Wie viele Menschen sind von Gerichten in psychiatrischen Kliniken eingesperrt worden, weil sie für andere Menschen und/oder den Staat unbequem sind?

Kann nicht jeder Mensch in eine psychiatrische Anstalt gesteckt werden, weil er sich irgendwo unbeliebt gemacht hat und ein Psychiater das passende Gefälligkeitsgutachten liefert, ähnlich wie es in der NS-Zeit und in der ehemaligen DDR der Fall war und heute noch in Diktaturen Praxis ist?

Ist es nicht erschreckend, wenn eine Ehefrau, die Streit mit Ihrem Ehemann hat („Rosenkrieg“), einfach der Staatsanwaltschaft mitteilen lässt, der Ehemann sei geistig gestört und die Staatsanwaltschaft nichts besseres zu tun hat, als dann den Ehemann in einer psychiatrischen Anstalt verschwinden zu lassen?

Wie kann überhaupt kontrolliert werden, ob mit der Psychiatrie in Deutschland nicht auch heute noch Missbrauch getrieben wird, um Personen, die zu viel wissen und zu viel verlauten lassen, ruhigzustellen?
Wenn der Fall Mollath nicht an die Öffentlichkeit gedrungen wäre, wäre eine solche Kontrolle, wie sie jetzt anzulaufen scheint, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfolgt. Herr Mollath galt als untherapierbar, weil er – auch während des Aufenthalts in der Psychiatrie – von dem Schwarzgeldhandel überzeugt blieb.

Haben psychiatrische Kliniken nicht die Aufgabe, psychische Erkrankungen zu heilen, und nicht, den Patienten ihre Freiheit zu rauben?

Wird hier nicht die Psychiatrie von der Justiz missbraucht?

Staatsanwaltschaft:

Warum ist die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth der Anzeige wegen möglicherweise illegalen Geldtransfers („Schwarzgeld“) und Steuerhinterziehung nicht nachgegangen?

Ist es denkbar, dass hier angesehene Personen geschützt werden sollten?

Wenn die Staatsanwaltschaft sich für die Anzeige nicht zuständig gefühlt haben sollte, wäre sie dann nicht verpflichtet gewesen, die Anzeige an die zuständige Behörde weiterzuleiten, etwa an die Steuerfahndung?

Sollten Staatsanwälte, die sich weigern, in wichtigen Fällen einer Strafverfolgung nachzugehen, nicht dafür bestraft werden?

Wir haben schon aus früheren Fällen den Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft in Nürnberg keine Ermittlungen durchführt, wenn Personen der besseren Gesellschaftsschicht betroffen sind.

Wie wird die Unabhängigkeit der Staatsanwälte geregelt?
Aus unserer Sicht sind Staatsanwälte Beamte, die vom Justizministerium Anweisungen erhalten können. Solche Anweisungen dürften u. E. aber nur schriftlich erfolgen und sollten nachvollziehbar sein. Falls Staatsanwälte durch eine Anweisung an der Strafverfolgung gehindert werden, macht sich dann u. E. derjenige, der die Anweisung gibt, strafbar.

Ist die Aufbewahrungspflicht von Akten nicht viel zu kurz? Warum werden sie nicht elektronisch gespeichert und in Rechenzentren transparent verwaltet? Werden Akten und Beweismaterial nicht häufiger von Behörden vernichtet, bevor der Fall juristisch abgeschlossen ist? Sollten die Unterlagen nicht mindestens solange aufgehoben werden, bis die Vorgänge für alle Beteiligten zweifelsfrei abgeschlossen bzw. ausgewertet (z. B. in Unis) sind (also z. B. auch alle Verjährungsfristen abgelaufen sind)?

Wie wird verhindert, dass Behörden einschließlich der Justiz ihnen unliebsame Akten verschwinden lassen können?

Warum wird das gesetzlich vorgesehene Klageerzwingungsverfahren nicht so gestaltet, dass es ein wirksames Rechtsmittel gegen vermeintliche oder wirkliche Willkür von Staatsanwälten ist?

Sachverständige:

Warum müssen Gerichte Gutachten nicht zurückweisen, bei denen offensichtlich elementare Fehler gemacht worden sind?

Ist es nicht ein elementarer Fehler, wenn eine zur Erstellung des Gutachtens notwendige Untersuchung nicht erfolgt ist und/oder der Sachverständige sich weitgehend auf seine Erfahrung oder auf dubiose Quellen beruft und belastbare Untersuchungen unterlässt?

Warum gibt es kein Tonträger- oder Videoaufnahmen von Untersuchungen von Menschen/Patenten bzw. von Ortsbegehungen (Bau- und Verkehrsgutachten)?

Warum achten Gerichte so wenig auf die Unabhängigkeit von Sachverständigen?

Die allgemeine Vereidigung von Sachverständigen (z. B. durch die IHK) ist prozessual wirkungslos, was den Rechtsuchenden schwer begreiflich zu machen ist. - Warum vereidigen Gerichte nicht in jedem einzelnen Prozess jeden Sachverständigen, auch die „öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen“?

Wir glauben, dass man in Deutschland mehr von einem „Gutachterunwesen“ als von Gutachterwesen sprechen kann. Warum schreitet der Gesetzgeber nicht dagegen ein?

Gerichte finden viele Begründungen, Sachverständige, die falsche Gutachten erstellt haben, zu schützen. - Wie kann die Haftung für eine Falschbegutachtung auch gerichtssicher gemacht werden?

Wie kann sichergestellt werden, dass die vorgeschriebenen Kontrollen von Patienten in psychiatrischen Kliniken wirklich und unvoreingenommen durchgeführt werden?

Gerichte:

Wie können sich Betroffene besser gegen offensichtlich parteiische Richter wehren?

Warum wird nicht sichergestellt, dass das Gericht auch Entlastungszeugen hören muss bzw. bei Zivilprozessen Zeugen von beiden Prozessparteien, die die jeweilige Partei als wichtig begründet?

Warum gibt es kein vollständiges, unabhängiges Wort-Protokoll jeder Gerichtsverhandlung (z. B. Tonträgeraufnahme)?

Sollten durch das Fehlen einer Tonträgeraufnahme Richter, die unfaire Verhandlungen durchführen, geschützt werden?
Warum wird § 339 StGB (Rechtsbeugung) nicht gemäß einem Vorschlag der Professoren Bemmann, Seebode und Spendel – oder Ähnlichem – geändert, damit der BGH den § 339 StGB nicht mehr unwirksam auslegen kann?

Dient die Unabhängigkeit der Richter nicht einzig und allein dazu, unbeeinflussbar bei einem Gerichtsverfahren urteilen zu können, aber nicht dazu, Richter, die sich über die Tatsachen und/oder das Recht hinwegsetzen, vor Sanktionen zu schützen?

Warum funktionieren in Deutschland die Berufungs- und Revisionsinstanzen oft nur schlecht oder gar nicht?
Im Fall Mollath sah der BGH keine nachteilige Behandlung von Gustl Mollath.

Wie kann es sein, dass nur Gutachten, die Mollath Allgemeingefährlichkeit attestierten, Beachtung fanden, aber nicht solche, die eine solche Gefährlichkeit nicht sahen, wie etwa das vom Amtsgericht Straubing beauftragte Gutachten, in dem keine Hinweise auf eine geistige Störung gefunden wurden?

Sollten nicht die Verjährungsfristen für Straftaten im Amt wesentlich verlängert werden? Ist eine Verjährungsfrist von 5 Jahren für Rechtsbeugung nicht viel zu gering oder sollte eine solche Frist zumindest nicht erst ab Ende der Strafverbüßung oder Abschluss des letzten Rechtsmittels einschließlich der Dienstaufsichtsbeschwerde beginnen?

Justizministerium:

Warum ist das bayerische Justizministerium nicht den Vorwürfen im Fall Mollath nachgegangen, die dem Ministerium ab Mitte 2005 bekannt waren?

Warum werden Polizisten, die wehrlose Menschen misshandeln, nur selten zur Rechenschaft gezogen? Sind die Polizisten, die Herrn Mollath beim Transport in eine Klinik misshandelt haben, dafür bestraft worden?

Warum wird keine Justiz-Ombudsmann/-frau-Bundesbehörde eingerichtet?

Warum wird keine öffentliche Internet-Seite eingerichtet, wo Betroffene ihren Justiz-Fall einstellen können?

Warum wird keine öffentliche Internet-Seite eingerichtet, wo alle Sachverständige, die für Gerichte tätig werden dürfen, mit Fachgebieten und Qualifikationen eingetragen sind?

Resümee:

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat u. a. in einem Interview der PNP gesagt: „Eine rechtsstaatliche unabhängige Justiz erfährt ihre Rechtfertigung stets dadurch, dass sie getroffene Gerichtsentscheidungen auch wieder auf den Prüfstand stellt.“ und „Der Fall dürfe in die Rechtsgeschichte nicht als Justizskandal eingehen.“ („Passauer Neue Presse“, Freitag, 30. November 2012, Seite 9). Wir glauben, Letzteres ist bereits eingetreten. Im o. g. Fall Gustl Mollath, wo gleich mehrere Fehlleistungen durch die Justiz aufeinandergetroffen sind, kam der Druck für eine Überprüfung nicht aus der Justiz heraus, sondern von außen. Außer diesem Fall gab es u. E. schon viele Fälle von Justizversagen. Wir erinnern hier nur an den Justizfall Donald Stellwag. Der Fall Mollath ist durch die Initiative Einzelner und dann durch die Recherche-Veröffentlichungen der Medien in weiten Teilen der Öffentlichkeit bekannt geworden. Wir hoffen, dass Justiz und Legislative nicht weiter so verfahren, als sei nichts gewesen.

Gerichte urteilen und verurteilen „Im Namen des Volkes“. Und der Fall Mollath verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Vertreter des Volkes und die Medien hinschauen, nachfragen, nachhaken und anmahnen. Das Volk und deren Vertreter sind u. E. bei offensichtlichem Versagen der Justiz unbedingt dazu verpflichtet! Nur so kann - nach unserer Auffassung - Rechtstaatlichkeit gewährleistet werden.

Natürlich sind Fehlurteile nie vollständig zu vermeiden, da sie von „Menschen“ gefällt werden und Menschen sind nun mal anfällig für Fehler. Doch dies kann nicht bedeuten, Fehlurteile – und dies gilt allg. für alle Fehlhandlungen – generell einfach zu tolerieren. Man muss aus den Erfahrungen lernen und Konsequenzen daraus ziehen, d. h. Maßnahmen daraus ableiten, um Fehlhandlungen soweit wie irgend möglich zu vermeiden. Man darf sich nicht einfach „bequem in den Lehnstuhl setzen“ und denken: „Es ist nun mal so.“
04.12.2012 gmr
 

Nachtrag vom 26.01.2013:

Da Falschbegutachtungen durch von Gerichten bestellte Sachverständige bereits ein altes Thema ist, wurde schon vor mehreren Jahren der Schriftsatz „Gesetzesvorschläge zur Verbesserung der Begutachtung vor Gericht“ erstellt und u. a. auch als Petition beim Bundestag eingereicht. Man war allerdings im Petitionsausschuss der Ansicht, dass alles bereits bestens gesetzlich geregelt sei.

Der Fall Mollath - wie auch schon der Fall Stellwag - zeigt aber, dass das Problem der Falschbegutachtung eher schlimmer geworden ist und deshalb dringender Handlungsbedarf von Politikern und der Rechtspflege geboten ist. Aus diesem Grund stellen wir den o. g. Schriftsatz als Download zur Verfügung.
26.01.2013 gmr

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