Zur Überlastung des Bundesverfassungsgerichts

Dr. Rolf Schmidt    XXXStraße       XXXOrt

Bundesjustizministerin
Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Bundesministerium der Justiz
Mohrenstraße 37
10117 Berlin

vorab per E-Mail: poststelle@bmj.bund.de

Cc: Präsident des Bundesverfassungsgerichts Herrn Prof. Dr. Andreas Voßkuhle per E-Mail,
SPD-Parteivorstand, Berlin, per E-Mail,
Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) per E-Mail,
Verein gegen Rechtsmißbrauch e. V. (VGR), Frankfurt a. M., per E-Mail.

02.09.2011

 

O F F E N E R  B R I E F
(wird in der Homepage der SPD Eulen veröffentlicht)

 

Zur Überlastung des Bundesverfassungsgerichts

Sehr geehrte Frau Leutheusser-Schnarrenberger,

endlich hat ein Präsident des Bundesverfassungsgerichts, nämlich Prof. Dr. Andreas Voßkuhle, den Mut, öffentlich auszusprechen, was schon lange bekannt ist, und zwar, dass das Verfassungsgericht auf Grund der Flut von Beschwerden überlastet ist. Technisch ist es ja auch gar nicht möglich, dass 16 Richter neben vielen anderen Aufgaben auch noch ca. 6000 Beschwerden pro Jahr durcharbeiten sollen. Deshalb habe ich seit langem den Eindruck, dass das Verfassungsgericht sich nur noch sporadisch mit den Beschwerden Rechtsuchender befasst. Darauf deutet auch hin, dass es m. E. völlig intransparent ist, nach welchen Kriterien das Verfassungsgericht die Beschwerden zur Entscheidung annimmt. Außerdem wird im Allgemeinen die Nichtannahme einer Beschwerde nicht begründet. In Fällen, wo eine Beschwerde schon aus formalen Gründen keine Aussicht auf Annahme hat, erhält der Beschwerdeführer wenigstens ein Schreiben eines Sachbearbeiters. Dies scheint ca. 20 % der Beschwerden zu betreffen, die anderen 80 % sind dann wohl ernst zu nehmen, aber nur ca. 3 % werden zur Entscheidung angenommen. Es ist also völlig offen, ob in den anderen ca. 77 % der Beschwerden überhaupt das rechtliche Gehör gewährt worden ist.

Dass die Zahl der Beschwerden so hoch ist, ist m. E. weniger auf Querulantentum, sondern eher auf die massiven Missstände in der Justiz zurückzuführen. Die von Justizwillkür Betroffenen haben schließlich die Hoffnung, dass sie wenigstens durch das Verfassungsgericht Gerechtigkeit erfahren. Allein die Fälle von Verweigerung des rechtlichen Gehörs könnten m. E. noch weitere Senate beschäftigen. Die gesetzliche Regelung, dass man sich bei dem Richter beschweren soll, der die Anhörung verweigert hat, ist m. E. völlig weltfremd.

In dieser Situation den Missbrauch des Verfassungsgerichts durch eine Lockerung der Regeln für die Missbrauchsgebühr eindämmen zu wollen, halte ich für den falschen Weg. Offenbar muss die Missbrauchsgebühr z. Z. noch von einem Verfassungsrichter verhängt werden, d. h. er muss dazu mindestens das Beschwerdeschreiben überflogen haben. Der Vorschlag, dass irgendein Beamter ein Bußgeld verhängen kann, birgt m. E. die Gefahr der Willkür in sich.

Eine Möglichkeit wäre, die Beschwerde zu standardisieren und zu straffen: Beispielsweise die erste Seite - als Formblatt - mit Anschrift, letzter Entscheidung mit Namen des Gerichts und dem Aktenzeichen und einer kurzen Angabe über die - aus Sicht des Beschwerdeführers - verletzten Artikel des Grundgesetzes. Dann maximal drei weitere Seiten mit der Darstellung seines Falles ohne Anlagen. Die Gerichtsurteile sollten inzwischen ins Internet eingestellt sein und bei Bedarf sollten die Gerichte auch die anderen Schriftstücke elektronisch übermitteln können. D. h. es wären erst einmal nur maximal vier Seiten zu lesen. Die maximale Anzahl der Zeichen könnte man auch noch vorgeben. Umfangreichere Beschwerden werden dann sofort zurückgewiesen oder ungelesen vernichtet, dies könnte ein Sachbearbeiter entscheiden. Erst wenn die Beschwerde sinnvoll erscheint, müssten weitere Unterlagen angefordert werden.

Ein wesentlich weitreichenderer, m. E. vorzuziehender Vorschlag wäre, einen „Justiz Ombudsmann“ (JO) nach schwedischem Modell einzuführen, bei dem man sich über Gerichtsverfahren beschweren kann. Verglichen mit Schweden müssten dies bei uns jedoch mindestens 16 Ombudsfrauen und 16 Ombudsmänner sein, unterstützt von einer Behörde mit ca. 400 Mitarbeitern (Fachkräfte). Der Ombudsmann kann keine Urteile ändern oder in laufende Verfahren eingreifen, er kann ggf. aber empfehlen, dass durch Justizfehler Betroffene Schadenersatz vom Staat erhalten sollten und eine Summe dafür vorschlagen. Zusätzlich sollte er die Möglichkeit haben, das Verfassungsgericht anrufen zu dürfen, um Gesetze überprüfen zu lassen oder zu erreichen, dass eingereichten Beschwerden nachgegangen wird. Außerdem sollte er Missstände in einer eigenen Internetseite veröffentlichen können. Da sich offenbar die Justiz sehr schwer tut, Justizwillkür einzudämmen, wäre eine solche unabhängige Kontrollbehörde sehr wichtig. – Evtl. sollte auch jeder Rechtsuchende die Möglichkeit erhalten, in dieser Interseite seinen abgeschlossenen Fall darstellen zu dürfen.

Leider hat der BGH durch eine völlig übertriebene Auslegung den § 339 StPO de facto außer Gefecht gesetzt. Dadurch fehlt ein wichtiger Anreiz für Richter, sich um korrekte Gerichtsverhandlungen und um faire Urteile zu bemühen. Allein das Vorhandensein eines Ombudsmanns könnte für die Gerichte ein solcher Anreiz sein, so dass dadurch möglicherweise die Beschwerden abnehmen würden.

Desweiteren wäre es aus meiner Sicht sinnvoll, wenn das Verfassungsgericht alle Beschwerden in einer separaten Abteilung auswerten würde, um Probleme zu erkennen und um sich für Abhilfe einzusetzen: Z. B. durch Gesetzesvorschläge oder allgemeine Hinweise an die Gerichte oder sonstige Veröffentlichungen.

Unser Bundesverfassungsgericht ist sicherlich das am besten arbeitende Gericht in Deutschland. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass es sich noch stärker für Gerechtigkeit einsetzen würde. Manchmal - z. B. bei den Urteilen zur Rentenbesteuerung und zum Klageerzwingungsverfahren - entsteht bei mir der Eindruck, dass das Verfassungsgericht mehr das Wohl der Richterkollegen als das des Volkes im Auge hat. Hier hätte der Gesetzgeber z. B. die Möglichkeit nutzen sollen, die Systeme für Pensionen und Renten mehr anzugleichen und bei Klageerzwingungsverfahren die Anforderungen auf ein normales Maß zu reduzieren, damit solche Verfahren nicht mehr mit juristischen Spitzfindigkeiten abgewiesen werden können.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Willi Geiger stellte einmal fest, dass das „genaue Ergebnis“ eines Prozesses „schlechthin unberechenbar geworden“ ist. Sein Zitat schließt mit: „Unter den in der Bundesrepublik obwaltenden Verhältnissen von den Gerichten Gerechtigkeit zu fordern, ist illusionär." (DRiZ 9/1982, Seite 325). Es sieht so aus, als sei es in der Justiz seither noch schlimmer geworden. Insofern sehe ich darin ein positives Zeichen, dass Verfassungsrichter Voßkuhle auf die Probleme aufmerksam gemacht hat. Ich hoffe, dass dies zum Anlass genommen wird, die Rechtstaatlichkeit zu verbessern.

Mit freundlichen Grüßen
gez. R. Schmidt

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