Probleme mit Rechtsanwälten und Sachverständigen bei Gerichtsverhandlungen

Bundespolitik

Gerichtstermin vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth, Ende April 2013

Die Klägerin, eine Dame mittleren Alters, war infolge eines unverschuldeten Verkehrsunfalls körperlich eingeschränkt. Sie glaubte, dass sie bzgl. der Schadensregulierung in einem früheren Verfahren ungerecht behandelt worden war. In dem neuen Verfahren fordert sie nun Schadensersatz von ihrer früheren Rechtsanwältin, weil diese sie in den früheren Prozessen ungenügend vertreten hätte.

Erschienen waren die Klägerin, die Beklagte, deren Rechtsvertreter und mehrere Prozessbeobachter aus Selbsthilfevereinen und von uns SPD Eulen.

Der Einzelrichter am LG sah diese Personen schon auf dem Flur und fühlte sich deshalb wohl bemüßigt, eine Verhandlung in offener, zwangloser Atmosphäre durchzuführen, obwohl allen schon nach wenigen Minuten klar war, dass er die Klage abweisen wird. Der Richter legte ausführlich dar, dass er zwar schon am früheren Verfahren beteiligt war, aber trotzdem nicht befangen sei, was wir Beobachter als ungewöhnlich empfanden, denn wozu muss dies erklärt werden? Dann erfuhren wir durch ihn auch, dass dies eine Verkehrskammer ist. Dies sei sehr praktisch, weil er dann ja auch den früheren Prozess beurteilen kann. Wir fragen uns, ob nicht eine Kammer für Anwaltshaftung besser gewesen wäre? In dieser Verhandlung erfuhren wir trotz langatmiger Erklärungen nur, dass die früheren Prozesse ordnungsgemäß durchgeführt worden seien und insbesondere die OLG-Richter ihre Entscheidung nicht von möglichen Fehlern in einem Schriftsatz abhängig machen würden. Deshalb könne es dahingestellt sein, ob die beklagte Rechtsanwältin in dem früheren Verfahren Fehler gemacht habe oder nicht. Die Klage sei in jedem Fall abzuweisen. Der Richter räumte Fehler der Beklagten ein, ohne die Fehler zu konkretisieren. Aus unserer Sicht hätte der LG-Richter erklären müssen, warum ohne diese vorliegenden Fehler die Entscheidung im früheren Verfahren nicht hätte anders ausfallen können oder sogar müssen. - Außerdem war der Anwalt, der die Klägerin hätte jetzt vertreten sollen, erkrankt und hatte einen Vertreter geschickt, der offensichtlich keine Zeit hatte, sich mit dem Fall vorher vertraut zu machen.

Wir können uns gut vorstellen, dass in vielen Fällen eine Partei allein deshalb ihren Prozess verliert, weil sich deren Rechtsvertreter ungenügend für sie einsetzt. Wenn z. B. wichtige Argumente nicht vorgetragen werden oder ein möglicherweise falsches Gutachten nicht moniert wird, werden Richter dies in den wenigsten Fällen selbst klären, obwohl sie dies in manchen Fällen (als Fachkammern bzw. Fachsenate) durchaus könnten.

Obwohl uns der Sachverhalt, der zu diesem Verfahren führte, im Einzelnen nicht bekannt ist, vermuten wir, dass es sich dabei um eine der typischen Konstellationen handelt, bei der der Kläger kaum Chancen hat, Recht zu bekommen, selbst wenn er im Recht wäre. D. h. hier müssten u. E. Gesetzgeber und Justiz für mehr Rechtssicherheit und damit für Gerechtigkeit sorgen.

So eine typische Konstellation kann wie folgt beschrieben werden:

  • Jemand erleidet durch einen unverschuldeten Verkehrsunfall einen langfristigen oder gar dauerhaften körperlichen Schaden.
  • Die Versicherung müsste den entstandenen Schaden voll ausgleichen, tut es aber nicht.
  • Der Geschädigte klagt vor dem zuständigen Landgericht.
  • Wenn es gut läuft, entscheidet der Richter, dass der Beklagte, also der Unfallverursacher, bzw. dessen Versicherung Schadenersatz leisten muss.
  • Dann bestellt der Richter einen Mediziner als Sachverständigen zur Feststellung der Schadenshöhe. Dieser soll klären, ob der vom Kläger behauptete Schaden nur vom Unfall herrührt.
  • Meistens kann die Versicherung schon ein internes Gutachten vorlegen, das zwar auf sehr fragwürdige Weise zustanden gekommen ist, das aber den vom Gericht bestellten Sachverständigen beeinflussen könnte. Die Gefahr, dass das Gutachten „versicherungsfreundlich“ ausfällt, ist u. E. sehr hoch. Der vom Gericht bestellte Sachverständige wird aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr mit dem Kläger zu tun haben, dagegen kann er bei „Eignung“ auf Aufträge aus der Versicherungsbranche rechnen.
  • Selbst wenn sich der Sachverständige um größte Objektivität bemüht, kann er nicht ausschließen, dass die festgestellten körperlichen Schäden nicht nur vom Unfall herrühren, sondern er kann nur feststellen, dass sie seiner Meinung nach mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Unfall herrühren.
  • Der LG-Richter entscheidet: Der Kläger hat die Beweislast zu tragen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass der Unfall nicht zweifelsfrei kausal für die körperlichen Schäden war. Deshalb ist die Klage zurückzuweisen und/oder der von der Versicherung vorgeschlagene Schadensersatz zu akzeptieren.
  • Der Kläger geht vergeblich in Berufung.
  • Der Kläger verklagt den Sachverständigen auf Schadensersatz wegen Falschbegutachtung. Fast immer vergeblich. Oder
  • der Kläger verklagt seinen Anwalt, weil sich dieser nicht richtig für ihn eingesetzt habe. Das kann zwar stimmen, weil ein voller Einsatz für den Anwalt nicht wirtschaftlich wäre, aber das Gericht wird u. E. auch ihn meistens schützen. Schon allein deshalb, weil sonst auch Fehler in früheren Gerichtsverfahren offengelegt würden.

Ähnliche Abläufe gibt es auch bei Schadensersatzforderungen, wenn z. B. gesundheitsschädliche Materialen in Häusern verbaut wurden (Kläger wäre hier der Bauherr oder der spätere Käufer des Hauses, wenn ihm dieser Mangel arglistig verschwiegen wurde).

Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden und u. E. so:

Es muss von der Justiz und der Legislative dafür gesorgt werden, dass vor Gericht nur noch Gutachten von unparteiischen und sachkundigen Sachverständigen erstattet werden. Es ist sicherzustellen, dass Gutachten bei begründetem Zweifel überprüft werden. Der gegenwärtige Zustand ist inakzeptabel. Sätze wie: „… ist ein erfahrener Sachverständiger, der seit vielen Jahren für das Gericht tätig ist“ und „Sein Gutachten ist überzeugend und nachvollziehbar“ sind keine Sachaussagen und gehören u. E. - wenn überhaupt - nur als Quintessenz in eine Urteilsbegründung. Sachverständige, die nicht ausschließen können, dass sie auch Aufträge der Gegenseite oder aus der Versicherungsindustrie annehmen würden oder schon angenommen haben bzw. hatten, dürften u. E. in einer Situation, wie sie oben aufgelistet ist, nicht vom Gericht bestellt werden (evtl. auf einen Zeitraum von fünf Jahren begrenzt). Sachverständige, die in einem „Sachverständigen-Pool“ sind, der auch von Versicherungen bezahlt wird, sollten nicht von einem Gericht bestellt werden /Link1/, /Link2/.

Wenn der Kläger nachgewiesen hat, dass er vom Beklagten geschädigt worden ist, hat er Anspruch auf den plausibel dargelegten Schadensersatz, es sei denn, der Beklagte beweist, dass der Schaden mit geringerem Aufwand ausgeglichen bzw. behoben werden kann (das wäre die von uns geforderte „Beweisumkehr“). Hier sollten Gerichte auch nicht vor den Spezialisten der Versicherung „einknicken“. Das Gericht sollte die Möglichkeit haben, wenn der Ausgang des Verfahrens bereits absehbar ist, einen von beiden Parteien akzeptierten Vergleich nicht zuzulassen, sondern ein Grundsatzurteil zu fällen.

Die Berufungsinstanz hat ggf. auch den Sachverhalt (einschließlich Gutachten) zu überprüfen. Sachverhaltsfeststellung und Rechtsanwendung können u. E. oft nicht getrennt werden.

Nimmt ein Rechtsanwalt einen Mandanten an, so hat er ihn u. E. optimal zu vertreten. Und der, der seinen Mandanten schlecht vertritt, sollte unabhängig vom Ausgang des Verfahrens die Prozesskosten übernehmen. Wir halten es für unvertretbar, wenn ein Anwalt z. B. krank wird und deshalb seinen Kollegen schickt und dieser keine Kenntnis von dem Fall hat. In solch einer Situation müsste entweder der Gerichtstermin verschoben werden (können) und/oder der Kollege muss sich in den Fall kurzfristig einarbeiten.

Prozesskosten sind hoch und da kann man schon gute Arbeit von Rechtsanwälten, Sachverständigen und Richtern verlangen.

Die Politik und die Justiz könnten Vertrauen zurückgewinnen, wenn sie gegen diese Missstände angehen würden.
 

Unsere früheren Beiträge zu diesem Thema:
„Wie Kassen teure Patienten mobben“ 17.10.2011
Gesetzesvorschläge zur Verbesserung der Begutachtung (Download)
Die Richter von Naumburg - Wie viel Justizwillkür verträgt unser Rechtsstaat noch? 03.01.2011
07.05.2013 mr

 
 

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