Fall Mollath: Wiederaufnahmeantrag der Staatsanwaltschaft Regensburg

Allgemein

(Mit Nachträgen vom 11.06.2013, 28.07.2013, 07.08.2013, 13.08.2013, 10.09.2013, einer Ergänzung vom 29.12.2013 und Nachträgen vom 31.12.2013 und 06.04.2014)

Kompakt:

  • Das Strafverfahren gegen Herrn Mollath wurde vom Amtsgericht Nürnberg an das LG Nürnberg- Fürth verwiesen. Durch eine Reihe von „Zufällen“ kam das Verfahren zur 7. Strafkammer mit dem Vorsitzenden Richter B.. Es kann u. E. nicht ausgeschlossen werden, dass Richter B. befangen war.
  • Ziel des Wiederaufnahmeantrages der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 18.03.2013 ist, dass das Urteil der 7. Strafkammer aufgehoben und Herr Mollath aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen wird.
  • Der Antrag stützt sich auf folgende neue Tatsachen:
    • Das medizinische Attest, das die der Frau Mollath durch ihren Ehemann zugefügten Verletzungen beweisen sollte, stammte nicht von der Ärztin Dr. M. R. sondern von deren Sohn.
    • Wenn Richter B. das gewusst hätte, wäre das Attest nicht vorgelesen worden.
    • Die damalige Ehefrau Petra Mollath war als Zeugin unglaubwürdig.
  • Die von RA Dr. Strate aufgezählten Fehler des Richter B. seien alle keine Rechtsbeugung, behauptet die Staatsanwaltschaft.

„Zufälle“ bei Vergabe des Strafverfahrens an die 7. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth.

Laut Art. 101 (1) des Grundgesetzes hat jeder Anspruch auf den vom Gesetz vorgesehenen Richter: „… Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.“ Das bedeutet, dass für alle Gerichtsverfahren von vorneherein festgelegt wurde, welcher Richter zuständig ist bzw. welche Richter zuständig sind. Es darf nicht möglich sein, dass jemand ein bestimmtes Verfahren an einen beliebigen anderen Richter übertragen kann. - Im Fall Mollath haben sich aber - wie RA Dr. Strate festgestellt hat - eine Reihe nicht erklärbarer Zufälle ereignet, so dass das Verfahren vom Amtsgericht Nürnberg zur 7. Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth gelangte. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass gerade der Vorsitzende Richter B. der 7. Strafkammer gegenüber Herrn Mollath befangen war. Hätte alles seinen normalen Gang genommen, wäre für das Strafverfahren eine andere Kammer zuständig gewesen. Es sieht bisher nicht so aus, dass diese „Zufälle“ jemals aufgeklärt werden. Für Einzelheiten verweisen wir auf den Schriftsatz von RA Dr. Strate vom 26.03.2013 an die Staatsanwaltschaft Augsburg, ab Seite 33 /Link1/ und z. B. /Link2/. - Wir haben Kenntnis davon, dass die Zuständigkeit von Richtern auch in anderen Fällen nicht nachvollziehbar geändert wurde und selbst auf Nachfragen von Anwälten der Betroffenen nach der Zuständigkeit von Richtern unvollständig oder gar nicht beantwortet wurde.

Für die Voreingenommenheit des Richters B. spricht u. E., dass er - schon bevor er den Fall Mollath übernommen hatte und bevor ein Gutachten vorlag - der Steuerfandung Nürnberg mitgeteilt hatte, dass Herr Mollath „nicht klar bei Verstand“ sei /Link1/, /Link2/. Die Finanzbeamten haben dann auffällig schnell die Strafanzeige des Herrn Mollath bzgl. der Geldverschiebung weggelegt. Weiterhin wäre zu prüfen, ob Richter B. vor dem Strafverfahren nicht mehrere Beschwerden des Herrn Mollath zurückgewiesen hatte und dadurch für das Verfahren gegen Mollath nicht mehr unparteiisch war. Eigentlich hätte u. E. das Strafverfahren gegen Mollath überhaupt nicht zur 7. Strafkammer kommen dürfen, da dort vermutlich bereits vorher die Beschwerden des Herrn Mollath gelandet waren.

Der Gesetzgeber hat das Auswahlverfahren der zuständigen Richter gemäß Art. 101 (1) GG so festzulegen, dass es transparent und nicht manipulierbar ist. Fragen zur Zuständigkeit sind ausführlich zu beantworten.
 
 

Antrag der Staatsanwaltschaft Regensburg vom 18.03.2013 auf Wiederaufnahme des Verfahrens /Link/

Zur Seitenangabe im folgenden Text: Der z. Z. von RA Dr. Strate auf seiner Internetseite eingestellte Wiederaufnahmeantrag beginnt mit der Seitennummer 163 (s. rechts oben) und endet mit der Seitennummer 306

Ziel des Wiederaufnahmeauftrags ist es, dass in einer erneuten Hauptverhandlung vor dem LG Regensburg das Urteil der 7. Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth aufgehoben wird. Falls dies erreicht wird, ist Herr Mollath aus dem psychiatrischen Krankenhaus zu entlassen. Der Freispruch durch das LG Nürnberg-Fürth bliebe davon unberührt, so dass auch keine erneute Verurteilung wegen der im Urteil des LG Nürnberg-Fürth behandelten Straftaten (angebliche Körperverletzung an seiner damaligen Ehefrau; zerstochene Reifen) mehr möglich ist (Seite 199 und 200).

Zu „Wiederaufnahmegründe“ (ab Seite 202)

Als Beweis für die behauptete Körperverletzung von Herrn Mollath an seiner damaligen Ehefrau Petra Mollath (im Folgenden: Petra M.) am 12.08.2001 wurde der 7. Strafkammer ein Attest der Ärztin Dr. M. R., Nürnberg, vom 03.06.2002 vorgelegt. Dieses Attest ist unecht, da nicht die Ärztin Dr. M. R., sondern deren Sohn das Attest ausgestellt hatte, vermutlich ohne Wissen seiner Mutter und ohne dass dieser Umstand aus dem Attest hervorgeht. Wann das Attest wirklich entstanden ist, kann der Sohn nicht mehr feststellen. Als Grund für die Wiederaufnahme ist die Tatsache ausreichend, dass das Attest nicht von der angegebenen Ausstellerin stammt, sondern von einer anderen Person. Es kommt nicht darauf an, dass dies absichtlich geschah, d. h. ob eine Täuschung geplant war oder nicht.

Hinzu kommt noch (ab Seite 208), dass, wenn ein Gericht das Vorlesen eines Attests an Stelle einer Zeugenaussage (hier also der Ärztin Dr. M. R.) akzeptiert, dann an das Attest hohe Ansprüche zu stellen sind. Es ist also ein entscheidender Unterschied, ob das Attest von Dr. M. R, einer langjährig tätigen, erfahrenen Ärztin stammte oder von deren Sohn, der damals noch nicht Facharzt war.

Ein weiterer Wiederaufnahmegrund ist, dass auf Grund neuer Erkenntnisse Petra M. als Zeugin unglaubwürdig war und damit auch ihre Zeugenaussagen (ab Seite 209). Es liegt nämlich inzwischen die Aussage des (neuen) Zeugen E. B. vor, einem früheren Freund der Familie Mollath. Petra M. erzählte ihm von ihren Geldtransfers und bot auch ihm an, für ihn Geld in die Schweiz zu bringen. Außerdem sollte er (E. B.) auf Herrn Mollath einwirken, dass dieser sich nicht in die Geschäfte seiner Frau einmische. Sie habe dem Zeugen E. B. auch gesagt, „Wenn Gustl meine Bank und mich anzeigt mache ich ihn fertig. Ich habe sehr gute Beziehungen. Dann zeige ich ihn auch an, dass kannst du ihm sagen. Der ist doch irre, den lasse ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann hänge ich ihm was an, ich weiß auch wie.“ (Seite 218, 2. Abs.) Dass sie von ihrem Mann misshandelt worden wäre, habe sie ihm gegenüber nie erwähnt, obwohl sie damals öfters miteinander gesprochen hatten.

Nachdem Petra M. von der internen Revision der Bank, bei der sie tätig war, erfahren hatte, begann sie zielstrebig, ihre Ankündigung, ihren Mann „auf seinen Geistesverstand“ überprüfen zu lassen, in die Tat umzusetzen. Es ist erschreckend, wie leicht das ging: Die Ärztin Dr. K. schickte, nachdem Petra M. mit ihr gesprochen hatte, eine „Stellungnahme“ an ihre Anwältin, dass ihr Ehemann „mit großer Wahrscheinlichkeit an einer ernstzunehmenden psychiatrischen Erkrankung leidet, im Rahmen derer eine erneute Fremdgefährlichkeit zu erwarten ist.“ (Seite 242) Diese Stellungnahme ging dann ans Amtsgericht Nürnberg und später an die 7. Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth. Aus der Stellungnahme geht nicht hervor, was Petra M. der Ärztin erzählt hatte, und es wurde nie hinterfragt, ob sie der Ärztin die Wahrheit erzählt hatte.

In dem Strafverfahren vor der 7. Strafkammer hat der Sachverständige L. u. a. ausgeführt, dass der Angeklagte „ein paranoides Gedankensystems entwickelt habe“ und „auch beliebige weitere Personen, die sich gegen ihn stellten, z. B. auch Dr.“ W., „der Leiter der Forensik am Europakanal, in der der Angeklagte zunächst zur Begutachtung untergebracht war, in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.“ (Seite 244 oben) Dr. W. ist dazu nie befragt worden. Man hätte sonst feststellen können, dass der Angeklagte Mollath konkrete Gründe hatte, anzunehmen, dass weitere Personen, wie z. B. auch Dr. W., in die Bankaffäre verwickelt seien.

Aus diesen o. g. Gründen wird nun von der Staatsanwaltschaft Regensburg die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt (Seite 255).

In den folgenden Ausführungen (ab Seite 256) wird noch auf den Wiederaufnahmeantrag des RA Dr. Strate eingegangen. Die Staatsanwaltschaft bestätigt zwar die Vorwürfe, dass der Richter B. am LG Nürnberg-Fürth die von RA Dr. Strate aufgeführten Fehler gemacht habe, kommt aber - was uns nicht wundert - zu dem Ergebnis, dass keiner dieser Fehler absichtlich und so schwerwiegend war, dass es sich dabei um Rechtsbeugung gehandelt hätte.

Interessant ist auch (s. Seite 290, letzter Absatz), dass laut Staatsanwaltschaft der Revisionsbericht der Bank vom Januar 2003 gerade nicht bestätigt habe, dass Petra M. und deren Kollegen anlässlich deren Tätigkeit bei der Bank an Schwarzgeldverschiebungen mittels Bargeldtransfers beteiligt waren, wie Herr Mollath behauptete. Nicht alle, sondern nur „alle nachprüfbaren Behauptungen“ des Herrn Mollath hätten sich als zutreffend erwiesen. - Zur Anfertigung dieses Berichtes war die Bank weitgehend auf die freiwilligen Auskünfte ihrer Mitarbeiter angewiesen. Im Bericht auf Seite 6 steht: „… dass sich Frau M. wenig kooperativ zeigte. So bestand sie jeweils darauf, ihr alle Fragen schriftlich vorzulegen, um juristisch prüfen zu lassen, ob sie diese überhaupt beantworten muss. Erst nach intensiven Gesprächen zeigte sie sich überhaupt bereit, einen Teil unserer Fragen zu beantworten.“ (s. Seite 274) So bestritt Petra M. (siehe S. 5), „jemals selbst Kurierfahrten in die Schweiz vorgenommen zu haben.“ (s. Seite 273) Auffällig sind die hohen Zahlungen von Kunden an Petra M. Auf Grund der festgestellten Verstöße hat die Bank Petra M. fristlos gekündigt. Petra M. klagte dagegen, und als Vergleich wurde die fristlose Kündigung in eine ordentliche Kündigung mit Abfindung umgewandelt (ArbG Berlin, Urteil vom 16.9.2003). Die Bank wollte u. E. unbedingt vermeiden, dass diese Geldtransfers an die Öffentlichkeit gelangen.

Aus unserer Sicht hätte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth diesen Vorgängen nachgehen müssen. Zumindest, wenn sie geglaubt hätte, die Vorwürfe des Herrn Mollath seien zu verworren, um ihnen nachgehen zu müssen, wäre sie u. E. während des gesamten Verfahrens verpflichtet gewesen, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Vorwürfe von Herrn Mollath bzgl. der Schwarzgeldverschiebungen nicht überprüft wurden, d. h., dass die Vorwürfe in Teilen oder ganz stimmen können oder aber auch nicht. Stattdessen hat u. E. die Staatsanwaltschaft zugelassen, dass alle beteiligten Psychiater diese Vorwürfe als Beweis für die Wahnvorstellungen in ihren Gutachten benutzt haben. Jetzt, hinterher, versucht man sich in der Rechtspflege u. E. damit herauszureden, dass ja nicht die Behauptungen von Herrn Mollath zu den Finanztransaktionen von Petra M. für seine Unterbringung in die Psychiatrie entscheidend waren, sondern die „wahnhafte Gedankenwelt des Angeklagten vor allem in Bezug auf den `Schwarzgeldskandal´ der Hypovereinsbank“ (Seite 294, 3. Abs.). Wir sind jedoch der Meinung, dass Staatsanwaltschaft, Gericht und Psychiater Herrn Mollath in diese Gedankenwelt - so sie denn überhaupt bestanden hatte - getrieben haben und somit in jedem Fall falsch gehandelt haben.

Trotz mancher Ausführungen der Staatsanwaltschaft Regensburg, vor allem ab Seite 256, wo wir (als Nichtjuristen) anderer Meinung sind oder sie nicht beurteilen können, sind wir froh, dass sie sich überhaupt mit einem gründlich ausgearbeiteten Schriftsatz für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Herrn Mollath einsetzt. Wir sind überzeugt davon, dass keineswegs von allen Juristen die Einsicht geteilt wird, dass Herr Mollath von der Justiz ungerecht behandelt worden ist und der Wiederaufnahmeantrag nur auf Druck der Medien und der Öffentlichkeit zustande gekommen ist. Leider betrachten manche Juristen das immer noch als eine unzulässige Einmischung in die Justiz. – Es bleibt nur zu hoffen, dass das Wiederaufnahmeverfahren bald in Gang kommt und zur Freilassung von Herrn Mollath aus dem psychiatrischen Krankenhaus führt.

Lesenswert sind auch die Kommentare des Strafrechtlers, Prof. Henning Ernst Müller, Universität Regensburg, den offensichtlich die bisherige Vorgehensweise der Justiz - bis zum Einsperren von Herrn Mollath - entsetzt hat /Link/.

Wir empfehlen auch zu lesen:
Super-GAU in der Justiz
Die Richter von Naumburg - Wie viel Justizwillkür verträgt unser Rechtsstaat noch?
Vorschläge zur Erneuerung unserer sozialdemokratischen Partei Deutschlands: 2 Rechtssicherheit
15.04.2013 gmr
 
 

Nachtrag vom 11.06.2013

Am 03.06.2013 wurde in der ARD die mehrfach angekündigte Sendung „Die Story im Ersten: Der Fall Mollath“ ausgestrahlt. Die Autoren zeigten, wie Herr Mollath - dessen „Vergehen“ vermutlich nur darin bestand, verdächtige Geldtransfers von reichen Bankkunden angezeigt zu haben - von der Justiz in die geschlossene Psychiatrie gesperrt wurde. Auch sein Hab und Gut ist weg, nicht einmal ein Foto seiner Mutter ist ihm geblieben.
Die Sendung kann noch in der Mediathek der ARD angeschaut werden /Link/.
Zum Text des Films /Link/.

Positiv sehen wir hier, dass offenbar inzwischen Steuerfahnder Razzien im Zusammenhang mit dem Fall Mollath durchgeführt haben und steuerliche Ermittlungsverfahren in Gang gekommen sind /Link/.
Negativ ist es jedoch aus unserer Sicht, dass die Staatsanwaltschaft Regensburg zwar einen Wiederaufnahmeantrag gestellt hat /Link/, sich aber nicht dem vom RA Dr. Strate gestellten Antrag auf Unterbrechung der Strafvollstreckung des Herrn Mollath anschließen will. Die Staatsanwaltschaft möchte es dem LG Regensburg überlassen, ob und welchen Wiederaufnahmegrund das Gericht für zulässig hält /Link/. - Während wir verstehen können, dass sich die 7. Strafkammer des LG Regensburg erst in den Fall einarbeiten muss und dazu Zeit braucht, haben wir jedoch kein Verständnis dafür, dass die Staatsanwaltschaft Regensburg trotz ihren eigenen überzeugend vorgetragenen Wiederaufnahmegründen nicht bereit ist, um für eine vorläufige Freilassung von Herrn Mollath zu plädieren. Dieses Verhalten und die Rolle des Bayerischen Justizministeriums dabei sollten u. E. Gegenstand des gerade tagenden Untersuchungsausschuss oder eines weiteren im Bayerischen Landtag zum Fall Mollath sein.
11.06.2013 gmr
 
 

Nachtrag vom 28.07.2013

Die 7. Strafkammer des LG Regensburg hat im Wiederaufnahmeverfahren die Anträge von RA Dr. Strate und der Staatsanwaltschaft Regensburg als unzulässig verworfen und dies in einem 115-seitigen Beschluss begründet /Link1/(pdf, 3675 KB) (Pressemitteilung: /Link2/). Damit bleibt Herr Mollath weiterhin im psychiatrischen Krankenhaus eingesperrt.

Wir halten diesen Beschluss für eine weitere systemimmanente Fehlleistung der Justiz. Das soll keine Kritik an diesem Beschluss sein, sondern wir meinen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme viel zu eng gefasst sind und dass unser Rechtssystem Justizwillkür u. E. geradezu begünstigt, man könnte sogar behaupten, durch Positivverstärkung fördert. Das zu ändern, ist Aufgabe der Politik. Im Fall Mollath wird dies auch für eine breite Öffentlichkeit deutlich, es gibt aber viele andere Fälle, wo Gerichte ebenfalls Unrecht gesprochen haben, ohne dass dies bekannt wurde (s. unseren Artikel: Die Richter von Naumburg - Wie viel Justizwillkür verträgt unser Rechtsstaat noch?).

Im Beschluss, Seite 7, wird aufgeführt:
Rechtssicherheit als Teil des Rechtsstaatsprinzips steht als gleichwertiges, zugleich gegenläufiges Ziel der Einzelfallgerechtigkeit gegenüber. Welches der beiden widerstreitenden Ziele im Einzelfall durchgreift, kann vom Gesetzgeber frei entschieden werden, so wie in § 359 StPO geschehen (BVerfGE, 22, 322, in juris, dort Rz. 19). Mit dem Rechtsinstitut der Wiederaufnahme wird „um des Grundsatzes der materialen Gerechtigkeit willen das Prinzip der Rechtssicherheit durchbrochen“. Dabei wirkt sich dieses Prinzip dahin aus, dass „die Durchbrechung an eine eng begrenzte Anzahl besonderer Ausnahmetatbestände gebunden ist.“ (BVerfGE 22, 322, in juris, dort Rz. 20). Die Beständigkeit eines rechtskräftigen Urteils ist damit die Regel, die Durchbrechung der Rechtskraft die Ausnahme.
D. h., der Gesetzgeber kann per Gesetz frei darüber entscheiden, wieweit auch grobe Fehlurteile Bestand haben sollen. Trotz der „Krokodilstränen“ einiger Politiker im Fall Mollath hat sich die Politik bisher zusammen mit der Justiz weitgehend gegen die „Einzelfallgerechtigkeit“ entschieden und nimmt lieber in Kauf, dass in Deutschland viele unschuldig in Gefängnissen oder Landeskrankenhäusern eingesperrt sind.

Gemäß § 359 StPO ist die Wiederaufnahme nur dann zulässig - also nicht zwingend geboten -, wenn im ursprünglichen Gerichtsverfahren 1. eine Urkunde „unecht oder verfälscht war“, 2. eine Zeugenaussage und/oder ein Gutachten falsch waren, 3. ein Richter oder Schöffe sich „einer strafbaren Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat“, 4. …, 5. „neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind“, 6. … . Das Wiederaufnahmegericht prüft zunächst nur, ob ein oder mehrere der o. g. Wiederaufnahmegründe vorliegen und ob diese das ursprüngliche Urteil zu Ungunsten des Angeklagten beeinflusst haben. Im Fall Mollath hat das Gericht in Regensburg keine Gründe gemäß § 359 StPO gesehen.

Der 3. Grund, dass sich ein Richter strafbar gemacht habe, fällt de facto immer weg. In Deutschland ist unseres Wissens noch nie ein Richter wegen Rechtsbeugung (§ 339 StGB) im Rahmen eines Gerichtsverfahrens bestraft worden. Dies ist wohl ein Erbe der NS-Zeit, in der viele Richter Willkürurteile erlassen haben. Die Richterschaft hat dann im Nachkriegsdeutschland wohl im Eigeninteresse dafür gesorgt, dass kein noch so schlimmes Richterverhalten bestraft wurde und wird. Wenn in seltenen Fällen Richterkollegen einen Richter verurteilt hatten (wie z. B. im Fall des Richters Schill, Hamburg), so hat dann der BGH bisher immer in solchen Verfahren im Sinne des angeklagten Richters entschieden (s. Zu 1: Neufassung des § 339 StGB). Insofern war u. E. schon vorher klar, dass RA Dr. Strate mit seiner Auflistung von Verstößen des Richters B. gegen § 339 StGB für die Wiederaufnahme scheitern wird, obwohl die meisten Menschen, wie auch wir, die den Fall Mollath mit verfolgt haben, überzeugt davon sind, dass u. E. Richter B. gegen Herrn Mollath voreingenommen war, deshalb u. E. kein auch nur ansatzweise faires Verfahren durchgeführt hatte und u. E. die Urteilsbegründung ungenügend war. Hinzu kommen die aus unserer Sicht falschen Gutachten der meisten am Fall beteiligten Psychiater bzw. Ärzte. All dies wird aber im Allgemeinen nicht als Wiederaufnahmegrund gemäß § 359 StPO anerkannt.

Das u. E. selbstherrliche Verhalten vieler Richter ist ein allgemeines Problem:
Ein Richter, der gewissenhaft arbeitet, benötigt einen größeren Arbeitsaufwand und mehr Können und Souveränität als ein Richter, der den Sachverhalt kaum klärt, sondern schnell eine Urteilsbegründung zusammenschreibt. Wenn er routiniert ist, hat er das Urteil auch schnell revisionssicher geschrieben. Die Richter des BGHs als Revisionsinstanz können oft gar nicht feststellen, ob das überhaupt stimmt, was im Urteil steht und/oder was der Richter einfach nicht ins Urteil aufgenommen hat. Außerdem ist es für BGH-Richter wesentlich bequemer, eine Revision als unzulässig zu verwerfen (§ 349 StPO) als diese zu behandeln. Selbst Zeugen kann der Ermittlungsrichter ungestraft falsch wiedergeben. In der Verhandlung eines Strafverfahrens wird ja nicht protokolliert, so dass der Richter nachträglich festlegen kann, was in der mündlichen Verhandlung gesagt worden sei. Nur in den wenigsten Fällen werden sich im Streitfall Zeugen finden, die zum Verhandlungsverlauf verwertbare Aussagen machen können. D. h. ein Richter, der Berufserfahrung hat und willkürlich arbeitet, hat erhebliche Vorteile gegenüber einem gewissenhaft arbeitenden Richter. Während letzterer aufwändig über seinen Fällen brütet, kann ersterer durch den Zeitgewinn sein Ansehen und seine Autorität durch Vorträge oder Beiträge in juristischen Zeitschriften oder als Autor von Büchern mehren oder anderen gewinnbringenden Nebentätigkeiten nachgehen und wird evtl. auch noch schneller befördert. Allenfalls, wenn eine unfaire Verhandlungsweise an die Öffentlichkeit gelangt und - wie im Fall Mollath – u. E. der Richter aus Sicht vieler Menschen indirekt auch noch Steuerhinterziehung begünstigt zu haben scheint, wird das Ansehen eines solchen Richters oder gar des Richterstandes beschädigt, was aber leider im Allgemeinen kein Hindernis ist, dass solche Richter das Richteramt weiter ausüben können.

Einerseits gebietet es die richterliche Unabhängigkeit, auch Entscheidungen hinzunehmen, die dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen zuwider laufen, andererseits darf aber die Politik richterlicher Willkür nicht tatenlos zusehen und hinnehmen, dass die Justiz in der Bevölkerung an Vertrauen verliert. Vorschläge zur Verbesserung in der Rechtspflege gibt es genug, u. a. auch von uns. Hier nur einige Stichpunkte dazu: Wirksame Änderung des § 339 StGB, Wort-Protokollpflicht oder Bild-/Ton-Aufnahme, Einschränkung der Nebentätigkeiten von Richtern, Qualitätssicherung von Urteilen, bessere Arbeitsbedingungen vor allem für Amtsrichter, Eindämmen des Gutachterunwesens (s. unser Download).

Durch den Fall Mollath wird das Augenmerk auf einen weiteren Missstand in der Justiz gelenkt: In immer mehr Fällen lassen Richter ihre Angeklagten einfach in psychiatrischen Krankenhäuser verschwinden /Link1/, /Link2/. Medizinische Sachverständige, die mit unseriösen Gutachten - auch durch „Ferndiagnose“ - dabei helfen, gibt es leider genug. Siehe auch hier den Fall Mollath. Da werden (möglicherweise unbequeme) Menschen für unbestimmte Zeit, meistens für viele Jahre für (zum Teil angeblich begangene) geringfügige Straftaten weggesperrt. Und niemand ist für das Wegsperren richtig verantwortlich. Dadurch wird viel Leid über die Betroffenen gebracht und eine ganze medizinische Disziplin, nämlich die Psychiatrie in Misskredit gebracht, die eigentlich den Menschen bei seelischen Krankheiten helfen sollte.

Es muss dringend für Abhilfe gesorgt werden: Zunächst sollte in allen Urteilen, in denen eine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus verfügt wird, zusätzlich das Strafmaß stehen, mit dem der Betreffende bestraft worden wäre, wenn er zum Zeitpunkt seiner begangenen Straftaten voll zurechnungsfähig gewesen wäre. Dieses Strafmaß kommt zwar zunächst nicht zum Tragen, weil der Angeklagte ja in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wird, es wäre aber ein Maßstab für die Schwere der Straftaten. Nach diesem angegebenen Zeitraum wäre dann der Straftäter zu entlassen, da seine Gefährlichkeit in der heutigen Strafrechtspraxis u. E. nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Diese Vorgehensweise müsste solange erfolgen, bis Gerichte und Psychiatrie in der Lage sind, die Gefährlichkeit und die Erkrankung von Straftätern wirklich objektiv feststellen zu können. Hierzu muss geprüft werden, wie die Qualität der Gutachten wesentlich verbessert und wie ausgeschlossen werden kann, dass Sachverständige „Gefälligkeitsgutachten“ liefern oder gar liefern müssen. Insbesondere hat der Sachverständige unabhängig von der Aktenlage seine Untersuchungsergebnisse in sein Gutachten aufzunehmen. Es könnte - und das muss möglich sein - die Situation auftreten, dass der Sachverständige bei seinen Untersuchungen keine Erkrankung, wie eine wahnhafte Vorstellung oder Gefährlichkeit, feststellen kann, obwohl sich eine Erkrankung aus der Aktenlage ergibt. Es ist u. E. nicht nur in der Medizin, sondern auch im Bauwesen eine weitverbreitete Unsitte von Gerichten, dass sie dem Sachverständigen die Gerichtsakten geben und ihn mehr oder weniger versteckt auffordern, sich bei seinem Gutachten an die Vorgaben zu halten, also kein unabhängiges, sondern das gewünschte Gutachten zu liefern. Das Bundesjustizministerium prüft gerade, wie das Problem mit der Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus in den Griff zu bekommen ist. Die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus soll auch nicht als Ersatz für die Sicherheitsverwahrung, z. B. für Triebtäter, missbraucht werden.

Unter Rechtsstaatlichkeit verstehen wir, dass Richter korrekt und somit fair arbeiten. Des Weiteren müssen Politiker für die richtigen Rahmenbedingungen durch eine entsprechende Gesetzgebung sorgen.

Zum Abschluss empfehlen wir Ihnen, liebe Leser, noch einen Blick auf das Gutachten der Ärztin Dr. Reichel, Anlage 1, am Ende des Beschlusses (S.114 u. 115) /Link/, zu werfen:

Können Sie erkennen, dass das Gutachten nicht von der Ärztin Dr. Reichel angefertigt wurde, sondern von deren Sohn?
Und erkennen Sie, dass dieser auch selbständig die Untersuchungen dazu durchgeführt hat?

Lesen Sie dann bitte die Ausführungen im Beschluss ab Seite 8 und insbesondere den ersten Satz auf Seite 11.
 

Unsere Literaturempfehlung:
Uwe Ritzer
Olaf Przybilla
Die Affäre Mollath
Der Mann, der zu viel wusste

Droemer Verlag, München 2013
ISBN 978-3-426-27622-8
Das beängstigende Versagen des Rechtsstaates“ (aus dem Klappentext des Buches)

28.07.2013 gmr
 
 

Ergänzung vom 29.12.2013:

Am 02.08.2013 demonstrierten ca. 20 Strafanwältinnen und -anwälte vor dem Regensburger Justizgebäude für die Freilassung des Herrn Mollath. Der Strafrechtler Dr. Bockemühl bezeichnete den o. g. Beschluss der 7. Strafkammer des LGs Regensburg als „113 Seiten Unverschämtheit“ /Link/. „Die Justiz und der Papst sind bis heute die Einzigen, die davon ausgehen, unfehlbar zu sein“, sagte Rechtsanwalt Wächtler, München /Link/. Papst Franziskus beginnt allerdings, seine „Unfehlbarkeit“ zu überdenken.
29.12.2013 mr
 
 

Nachtrag vom 07.08.2013

Herr Mollath ist endlich frei! Wir freuen uns mit ihm.

Am 06.08.2013 hob der 1. Strafsenat des OLGs Nürnberg den Beschluss der 7. Strafkammer des LGs Regensburg auf und entschied, dass eine andere Kammer des LGs Regensburg das Wiederaufnahmeverfahren durchzuführen habe.

Mit der Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens ist die Rechtskraft des Urteils aus dem Jahr 2006 entfallen und damit auch die Grundlage der Vollstreckung. Infolgedessen war der Untergebrachte unverzüglich zu entlassen.

Der Strafsenat des OLGs Nürnberg stellte fest, dass das Attest (von uns früher „Gutachten“ genannt) den falschen Eindruck erweckte, dass es von der Ärztin R. stammte und nicht von ihrem Sohn. Damit handelte es sich bei dem Attest um eine „unechte Urkunde“, so dass gemäß § 359 Nr. 1 StPO ein Wiederaufnahmegrund vorliegt.
Quelle: Pressemitteilung des OLGs Nürnberg vom 06.08.2013 /Link/

Uns ist unverständlich, warum nicht bereits die 7. Strafkammer des LGs Regensburg das (und viele weitere schweren Mängel im früheren Strafverfahren) gesehen hatte (Kritik an dem Beschluss siehe auch /Link/).

Es wird eine Weile dauern, bis mit dem neuen Strafverfahren begonnen werden kann, da u. a. zu klären ist, welche Strafkammer in Regensburg nun zuständig sein wird. Wir empfehlen, für die Verhandlung einen großen Saal bereitzustellen.

Wir hoffen, dass ab jetzt die zuständigen Gerichte faire Verfahren durchführen und korrekte Beschlüsse bzw. Urteile erlassen, die Sachverständigen richtige Gutachten anfertigen und die Fehlleistungen im Fall Mollath vollständig aufgeklärt werden, einschließlich der mutmaßlichen Schwarzgeldverschiebungen.

Trotz aller Freude über diese Wendung für Herrn Mollath bleiben Justiz und Politik aufgerufen, zu prüfen, ob es noch mehr ähnlich gelagerter Fälle gibt - wovon wir ausgehen - und Maßnahmen zu treffen, um solche Fehlleistungen zukünftig möglichst zu vermeiden.
07.08.2013 mr
 
 

Nachtrag vom 13.08.2013

Zur Kritik des Vorsitzenden des Bayerischen Richtervereins

Der Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, Herr Groß, kritisiert, dass sich die Politik im Fall Mollath zu sehr in die Justiz eingemischt habe und dass der Eindruck entstanden sein könnte, die Politik achte die Unabhängigkeit der Gerichte zu wenig. Kritik an Gerichtsverfahren und -entscheidungen ist legitim, aber die „Art und Weise wie die Diskussion geführt worden ist, von einem Einzelfall ausgehend, verallgemeinernd und pauschalierend, hat Schaden hinterlassen.“ Die Justiz solle als Dritte Gewalt im Staat eine größere Autonomie haben /Link/.

Wir meinen, dass im Fall Mollath Staatsanwälte und mehrere beteiligte Gerichte versagt haben. Dies ist dank der Medien in die Öffentlichkeit gelangt und hat dort für große Empörung gesorgt. Diese Empörung haben sich dann Politiker zu Eigen gemacht - man ist im Wahlkampf - und darauf gedrängt, dass im Fall Mollath in der Justiz wieder korrekt gearbeitet wird. Die letzte Fehlleistung war u. E. der Beschluss, mit dem die 7. Strafkammer des LGs Regensburg die Wiederaufnahme abgelehnt hatte. Trotz der über hundert Seiten ging u. E. die Begründung des Beschlusses an der Sache vorbei /Link/. Das OLG Nürnberg hat nun endlich - aus welchen Motiven auch immer - in diesem Fall nach sieben Jahren erst einmal wieder für Rechtsstaatlichkeit gesorgt, indem es die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet hat.

Das Ansehen der Justiz ist u. E. nicht durch die öffentliche Kritik, sondern durch Justizversagen, also dem fehlerhaften Handeln von Staatsanwälten, Richtern und Sachverständigen geschädigt worden. Wir erwarten, dass gerade auch die Justiz Schritte unternimmt, diesen Ruf durch korrektes Arbeiten der o. g. Personen zu bessern. Dazu braucht die Justiz u. E. nicht mehr Autonomie, sondern mehr Einsicht in ihre Fehlleistungen und sie sollte dann Konsequenzen daraus ziehen. Es wäre u. E. besser gewesen, wenn Herr Groß, als Vorsitzender des Richtervereins, an die Richter appelliert hätte, richtiger und unvoreingenommener zu arbeiten, anstatt zu monieren, dass Öffentlichkeit und Politik faire Gerichtsentscheidungen und die Korrektur von Justizunrecht einfordern. Dass es dabei auch viele unsachliche Vorwürfe bis hin zu Gewaltandrohungen gibt, ist beleidigend bis kriminell und sollte ggf. strafrechtlich verfolgt werden. Allerdings sind Verschwörungstheorien Tür und Tor geöffnet worden, weil leider im Fall Mollath viele Sachverhalte erst nach und nach durch Medien aufgedeckt wurden (z. B. das Attest als „unechte Urkunde“) und manches immer noch im Dunkeln liegt, wie z. B., wo die Gerichtsakten vom Amtsgericht Nürnberg verschwunden waren, bis LG-Richter B. den Fall übernahm. Abhilfe schafft nur Transparenz!

Viele Menschen erwarten, dass nicht nur im Fall Mollath für Gerechtigkeit gesorgt wird, sondern dass dies für alle Fehlentscheidungen gelten müsste. Die Politik ist aufgerufen, dazu Rahmenbedingungen zu schaffen. Hierzu wären auch Vorschläge unserer jetzigen und künftigen Mandatsträger willkommen.
13.08.2013 mr

 
 

Nachtrag vom 10.09.2013

Verfassungsbeschwerde des Herrn Mollath war erfolgreich

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass mit den Beschlüssen des LGs Bayreuth vom 09. 06.2011 und des OLGs Bamberg vom 26. 08.2011 das „Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes“ verletzt wurde und hat deshalb die Beschlüsse aufgehoben. Die Sache wurde zur erneuten Entscheidung an das OLG Bamberg zurückverwiesen und der „Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

   Entscheidung des Bundesverfassungsgericht – 2 BvR 371/12 – von 26.08.2013 /Link/,
   Pressemitteilung Nr. 56/2013 vom 5. September 2013 dazu /Link/

(Anmerkung: Die Zahlen in Klammern im nachfolgenden Text beziehen sich auf die Nummerierung am rechten Rand des Textes der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.)

Zunächst stellten die Bundesverfassungsrichter fest, dass trotz seiner inzwischen erfolgten Entlassung aus dem psychiatrischen Krankenhaus für Herrn Mollath das Recht bestehen bleibe, dass auch noch nachträglich verfassungsrechtlich geklärt werde, ob die Unterbringung nicht verfassungswidrig war (36).

Die Verfassungsrichter kamen dann zu dem Ergebnis, dass die o. g. Beschlüsse „verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus ergeben, nicht genügen.“ (37)

Die Richter führten dann zunächst Grundsätzliches dazu aus:
Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen […]“.(40) … „Erst eine hinreichende Tatsachengrundlage setzt den Richter in den Stand, darüber zu entscheiden, ob die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fortzusetzen, zur Bewährung auszusetzen […] oder für erledigt zu erklären […] ist. “ (41) … „Dabei hat der Strafvollstreckungsrichter die Aussagen oder Gutachten des Sachverständigen selbstständig zu beurteilen. “ (42)

Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dauert, umso genauer muss zwischen Sicherungsbelangen der Öffentlichkeit und dem Freiheitsanspruch des Untergebrachten abgewogen werden. Dabei muss auch geprüft werden, ob nicht andere Maßnahmen, wie die „Tätigkeit eines Bewährungshelfers“ und/oder die „Möglichkeit bestimmter Weisungen“ in Frage kommen (46). Für die weiteren Ausführungen wird auf das Urteil verwiesen.

Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben sind die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 sowie des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. August 2011 nicht zu vereinbaren. Die in den Beschlüssen aufgeführten Gründe genügen nicht, um die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Es fehlt bereits an der […] ausreichenden Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr künftiger rechtswidriger Taten (a). Den Beschwerdeführer entlastende Umstände finden im Rahmen der notwendigen Prognoseentscheidung keine erkennbare Berücksichtigung (b). Daneben wird in den angegriffenen Beschlüssen nicht ausreichend dargelegt, dass die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das angesichts der Dauer der Unterbringung zunehmende Gewicht seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag (c). Schließlich fehlt auch eine Befassung mit der Frage, ob dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit nicht auch durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen Rechnung hätte getragen werden können (d).“ (50)

D. h., die Bamberger OLG-Richter hätten genau angeben müssen, welche Straftaten sie von Herrn Mollath noch erwarten. Insbesondere spricht vieles dafür, dass sich die Beziehungstat (falls Herr Mollath seine Frau wirklich so schwer misshandelt hätte, wie von Richter B. behauptet) nicht mehr wiederholen wird. Die OLG-Richter hätten überzeugend darlegen müssen, warum sie nichts, was zur Entlastung des Herrn Mollath hätte dienen können, berücksichtigt haben, wie z. B. entlastende Gutachten und entscheidende Wiedersprüche bei der Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Pfäfflin, Ulm.

Die Entscheidung der Verfassungsrichter offenbart aus unserer Sicht, dass sich die betreffenden Richter des OLGs Bamberg und des LGs Bayreuth in schwerwiegender Weise über das Recht hinweggesetzt haben, denn die Grundsätze, die die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung erläutert haben, sind nicht überraschend oder Auslegungssache, sondern eine logische Anwendung unserer Gesetze.

Das Urteil zeigt u. E. auch, dass das bayerische Justizministerium im Unterschied zum Generalbundesanwalt nicht mit unserem Grundgesetz vertraut zu sein scheint. Siehe (30). Wir können gespannt sein, wie sich das OLG Bamberg aus dieser Affäre ziehen wird.

Weiterhin sollten ähnlich gelagerte Fälle – die zu vermuten sind – ebenfalls überprüft werden.

Deshalb wird angeregt, dass bundesweit alle Fälle anhand der o. g. Entscheidung überprüft werden, bei denen wirkliche oder vermeintliche Straftäter länger in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht waren oder noch sind, als es dem „normalen“ Strafmaß entsprochen hätte.
10.09.2013 gmr
 
 

Nachtrag vom 31.12.2013

Geplantes Wiederaufnahmeverfahren

Das Wiederaufnahmeverfahren vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Regensburg soll im Juli 2014 beginnen. Dafür sind bereits 15 Termine vom 07.07.2014 bis 14.08.2014 vorgesehen /Link/.

Die 6. Strafkammer muss aus gesetzlichen Gründen (§ 246a StPO) einen psychiatrischen Sachverständigen hinzuziehen. Herr Mollath ist aber nach dem Gesetz (z. B. § 136 StPO) nicht verpflichtet, mit diesem zu sprechen. Wir dürfen hoffen, dass das Gericht - wie Herr Mollath es möchte - zu klären versuchen wird, ob die Vorwürfe, dass er seine damalige Ehefrau misshandelt und Autoreifen zerstochen habe, zutreffen oder nicht. Nur für den Fall, dass Herrn Mollath nachgewiesen werden sollte, dass er diese Straftaten begangen hat, muss entschieden werden, ob von ihm derzeit noch eine Gefahr ausgeht, weil er noch unter Wahnvorstellungen leidet. Nur in einem solchen Fall wäre wieder eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus denkbar und nur dann müsste der psychiatrische Sachverständige tätig werden. Eine Verurteilung des Herrn Mollath zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe ist nicht mehr möglich ( § 373 Abs. 2 StPO), da Richter B. am LG Nürnberg-Fürth ihn ja am 08.08.2006 freigesprochen hatte /Link (pdf)/.

Reaktion des OLGs Bamberg auf die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde des Herrn Mollath

Das LG Bayreuth hatte jedes Jahr (mindestens) einmal zu überprüfen, ob Herr Mollath auf Grund seiner - unserer Meinung nach angeblichen - Wahnvorstellungen noch so gefährlich ist, dass er im Bezirkskrankenhaus Bayreuth bleiben müsste. Das LG Bayreuth hat dies stets bejaht und den Einspruch dagegen hat das OLG Bamberg jedes Mal zurückgewiesen. Erst in diesem Jahr (am 16.07.2013) hat das OLG Bamberg dem Beschluss stattgegeben und den Fall an das LG Bayreuth zurückgegeben. - Das Bundesverfassungsgericht hat am 26.08.2013 den Beschluss des OLGs Bamberg aus dem Jahr 2011 und den zugehörigen Beschluss des LGs Bayreuth aufgehoben. Das bedeutet, dass Herr Mollath ab Juni 2011 bis zum 06.08.2013, also über zwei Jahre lang, ohne rechtliche Grundlage in dem Bezirkskrankenhaus Bayreuth eingesperrt war. Für diese zwei Jahre einer unglaublichen Freiheitsberaubung müsste u. E. Herr Mollath - aus formalen Gründen - finanziell entschädigt werden, selbst wenn das o. g. Wiederaufnahmeverfahren doch noch einen Nachweis erbringen sollte, dass von Herrn Mollath weiterhin eine Gefahr ausgeht.

Es ist uns unverständlich, dass sich die zuständigen Richter des OLGs Bamberg offenbar erst dann an Art. 2 Abs. 2 und den Art. 20 Abs. 3 unseres Grundgesetzes erinnert haben /Link/, als der Druck durch die Öffentlichkeit und vieler Juristen immer höher wurde und die Richter damit rechnen mussten, dass das angerufene Bundesverfassungsgericht genau diese o. g. Artikel des GG anmahnen wird /Link (pdf)/.

Wir fragen uns seit längerem: Wie viele „Whistleblower“ - wie u. E. Herr Mollath einer ist - und andere kritische und daher unbequeme Zeitgenossen erleiden in Deutschland ein ähnliches Schicksal wie er? Wäre das nicht eine Aufgabe für unsere Genossinnen und Genossen mit Fachkenntnissen, da einmal genauer hinzuschauen?
31.12.2013 gmr
 
 

 

Nachtrag vom 06.04.2014

Beschluss des OLGs Bamberg

Am 24.03.2014 hat der 1. Strafsenat des OLGs Bamberg den Beschluss gefasst:
(...) 2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten [Gustl Mollath] gegen den Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 9. Juni 2011 wird für erledigt erklärt. (...)

Aus der Begründung: „Mit der Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Vollzug der Unterbringung aufgrund Anordnung der Wiederaufnahme des Erkenntnisverfahrens durch Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 06.08.2013 ist die verfahrensgegenständliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bayreuth vom 09.06.2011 jedoch gegenstandslos geworden und das hier aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.08.2013 weiter anhängige Beschwerdeverfahren hat sich somit spätestens zu diesem Zeitpunkt objektiv erledigt.“ /Link/ (pdf, 3,8 MB)

Herr RA Dr. Strate hat am 27.03.2014 gegen diesen Beschluss „Gegenvorstellung“ erhoben. Begründung u. a.:
Das Oberlandesgericht Bamberg war nach dem unmissverständlichen Tenor der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu einer erneuten Entscheidung aufgerufen worden, und zwar in der Sache.

Eine derartige Entscheidung hat das Oberlandesgericht nicht getroffen, sondern lediglich die angebliche Erledigung der anhängigen Beschwerde konstatiert. Das Oberlandesgericht Bamberg fühlt sich also dem Gesetzesbefehl des § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht unterworfen.

Das geht nicht an: Die Missachtung der Bindungswirkung einer vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Entscheidung verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG und verletzt darüber hinaus den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG2. “ /Link/ (pdf, 17 KB)

Dies ist ein weiterer Fall, in dem u. E. Richter eines OLGs die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts missachtet haben. Der Gesetzgeber ist u. E. verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Richter sich nicht über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - als höchstem Gericht - hinwegsetzen können, ohne dass dies für die betreffenden Richter Konsequenzen hätte.
06.04.2014 r

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