Geschichten7

34 TOD - Mein Großvater ist gestorben

34.1 Mein Großvater wurde schwer krank
Es war ein nasskalter Wintertag. Der Schnee taute auf den Straßen. Mein Großvater hatte auf dem Markt einem Bauern beim Verkaufen seiner Waren geholfen und sich auf dem Heimweg noch mit einem alten Bekannten über eine Stunde lang auf der Straße unterhalten. Er kam völlig durchgefroren und mit durchnässten Schuhen und Socken zu Hause an.
Meine Großmutter reagierte bestürzt und versorgte ihn so schnell und gut sie konnte mit heißem Tee und warmem Essen. Er fühlte sich schlecht und lag gut und warm gebettet auf seiner Chaiselongue in unserer Wohnküche.
Opa war krank, sehr krank. In einer der Nächte war er auch - zu allem Unglück - noch von seiner Liege gerollt und hat lange unbedeckt auf dem kalten Fußboden gelegen, bis Oma es bemerkte und ihm wieder auf die Chaiselongue zurück half. Alles Wärmen nutzte kaum noch etwas. Er war so schwer erkrankt, dass der herbeigeholte Doktor ihn in das damalige Heilig Geist Krankenhaus einwies. Wie er dahin gekommen war, weiß ich nicht mehr.
Jeden Nachmittag besuchte ich ihn. Er lag alleine in einem kleinen Mansardenzimmer. Manchmal brachte ich ihm auch etwas „Schönes“ mit. Ihm ging es hier gut. Ich machte mir die Hoffnung, dass er bald wieder gesund und zu uns nach Hause kommen wird. Er lobte die Ordensschwestern hier sehr, betonte wie gut sie ihn pflegten und erzählte mir von dem Ordensgründer, dem heiligen Vinzenz von Paul, der sich vor sehr langer Zeit besonders um Arme und Kranke kümmerte.
Oma konnte ihn nicht besuchen, denn ihr ging es auch schlecht.
Also ging ich, über mehrere Wochen lang, täglich alleine zu ihm. Wir beide unterhielten uns über alles, so weit es möglich war. Seine Stimme wurde schwach und eines Tages schaute er nur noch mit weit geöffneten Augen zur Decke und nicht mehr zu mir - die wie immer an seinem Bett saß - herüber. Er atmete schwer und seltsam. Wenn ich ihn leise ansprach oder ihm etwas erzählte, schaute er weiterhin nur noch zur Zimmerdecke. Ich streichelte sanft sein Gesicht und über seine schütteren, grauen Haarsträhnen auf seinem Kopf. Er aber schaute nur zur Decke und atmete so seltsam.
Eine ehemalige Mitschülerin, die dort als Krankenpflegerin arbeitete, kam in das kleine Krankenzimmer, tat nichts und fragte mich nur: „Ist das dein Opa?“ Ich bejahte. Und ihre zweite Frage war: „Hast du ihn gekämmt?“ Die Antwort blieb ich ihr schuldig. Sie verließ das Krankenzimmerchen.

34.2 Mein Großvater ist tot
Im März 1958 erklärte meine Klassenlehrerin - eine Nonne - mir vor Beginn des Unterrichts kurz und knapp, mein Großvater sei früh morgens gestorben und ich solle sofort nach Hause gehen und es meiner Großmutter auch mitteilen. Die Nonne war in der Frühmesse in der Krankenhauskapelle gewesen und hatte dort vom Tod meines Großvaters erfahren.
Hastig raffte ich meine Schulsachen zusammen und ging.
Leute, die neben der Schule wohnten und mich kannten, fragten mich: „Wie geht´s?“ Ich antwortete wie immer höflich: „Danke, gut“. Offenbar erkannten sie aber, dass das nicht sein konnte, so wie ich wohl aussah und fragten genauer. Als ich ihnen sagte, dass mein Opa gestorben ist, schauten sie mich traurig an und sagten voller Mitleid leise, fast flüsternd: „Ach, der Bienenkönig.

Meiner Großmutter ging es nach dieser Todesnachricht ganz schlecht. Sie schickte mich los, die notwendigen Behördengänge zu machen, da sie sich dazu nicht in der Lage sah. Ich ging von einer Stelle zur anderen und gute Menschen erklärten mir, was ich als Nächstes zu tun hätte, d. h. mir wurde wirklich geholfen. Ich suchte auch beim Schreiner den vor Jahren vorbestellten Sarg aus. Abends - um neun - war ich noch in der Druckerei. Mit dem Druckereibesitzer wählte ich Texte für Todesnachrichten und Totenbildchen aus, auch die Todesanzeige in der „Westfalenpost“ wurde nicht vergessen. Der Mann war sehr geduldig mit mir und half mir mit guten Ratschlägen.

Mein Opa lag schön gebettet in seinem Eichensarg. Um seine Hände war sein kunstvoller, dunkler Rosenkranz geschlungen. Opa sah richtig gut und gesund aus, fand ich, fast so, als schiefe er nur. Sein geschnitztes Holzkreuz - mit dem feinen, weißen Porzellankorpus - wurde auf den Sarg gelegt und ihm mit in sein Grab gegeben, so hatte es Oma gewünscht.
Das Kreuz verschwand bald unter einem kleinen Hügel von den ins Grab geworfenen Blumen.
Ich konnte das alles sowieso nicht begreifen.
Ich musste nun auch für meine Großmutter sorgen, denn sie war zu schwach geworden. Zeit zum Nachdenken hatte ich keine!
Wie die Beerdigung genau verlief, weiß ich nicht mehr.
Wie viele Menschen anwesend waren, weiß ich nicht mehr.
Ob es einen Leichenschmaus gab oder nicht, weiß ich nicht mehr.
Ich habe das alles vergessen, obschon ich alles organisiert haben müsste. - Es war mir auch nicht wichtig.
Mein lieber, guter Opa ist tot! - Es war so schlimm. Für mich brach eine Welt zusammen. - Ich konnte nur noch beten, für ihn, für mich, für uns alle.

Tage später war auch Mutter wieder da.

Mit diesem Tod meines geliebten Großvaters war ich irgendwie schlagartig erwachsen geworden, so sehe ich das im Nachhinein immer noch.
23.07.2022 p

 

 

zum Inhaltsverzeichnis

zurück | weiter

 

WebsoziCMS 3.9.9 - 003054527 -