Die Richter von Naumburg - Wie viel Justizwillkür verträgt unser Rechtsstaat noch?

Bundespolitik

(Mit Nachträgen vom 26.07.2011, 14.01.2012, 10.08.2012, 04.07.2013, 29.12.2014 und 02.07.2017)

Kompakt:

  • Eine Gerichtsentscheidung des OLGs Naumburg liefert ein Paradebeispiel für Justizwillkür.
  • Um solche Vorfälle zu vermeiden, sind dringend Gesetzesänderungen sowie Verbesserungen im Gerichtswesen erforderlich; Vorschläge hierzu - auch von Fachleuten - gibt es genügend.
  • Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, geeignete Maßnahmen zur Beseitigung dieser Missstände zu treffen, so dass die Bürger wieder Vertrauen in die Justiz gewinnen; hier sind - im Vorfeld - auch die politischen Parteien gefordert.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat den Richtern des 14. Senats des OLGs Naumburg einen glatten „Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht" bescheinigt (BVerfG, NJW 2005, 2685). Die OLG-Richter haben in einem Gerichtsverfahren vorgeführt, dass die Macht der Richter so groß ist, „um im Extremfall die Rechtsordnung aus den Angeln zu heben“ (NJW 2007, 2746).

Kurz zu dem Fall: Die Verbindung des Herrn Görgülü mit seiner Lebensgefährtin ging auseinander. Sie gab ihr 1999 geborenes Kind sofort in fremde Hände. Herr Görgülü erwirkte im Jahr 2000 die Feststellung seiner Vaterschaft und bemühte sich seither um das Sorgerecht, zumindest aber um ein Umgangsrecht. Da sich u. a. das Jugendamt Wittenberg diesem Wunsch widersetzte, wurde die Sache schließlich mehrfach vom Oberlandesgericht Naumburg (OLG Naumburg) zu Ungunsten von Herrn Görgülü entschieden (Jahre 2004/05). Dabei setzten sich die OLG-Richter über mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hinweg, die für das OLG bindend waren. Schließlich sprach das BVerfG von „Willkür“. Hierauf wurde nach langem Zögern seitens der Staatsanwaltschaft Klage wegen des „Verdachts auf Rechtsbeugung“ gemäß § 339 StGB erhoben. Der zuständige Senat des OLGs Naumburg eröffnete jedoch erst gar nicht das Strafverfahren. Begründung: Die drei OLG-Richter haben zwar ihre Fehlurteile gemeinsam unterschrieben, sie werden aber nicht offenlegen, wer von ihnen das Urteil gestützt hat und wer evtl. bei ihren geheimen Beratungen gegen dieses Urteil gestimmt hat. Es könnte ja sein, dass zwei Richter den dritten Richter überstimmt haben. Würde man die drei OLG-Richter für ihr falsches Urteil bestrafen, könnte es sein, dass der Richter, der gegen das Urteil war (also unschuldig an diesem falschen Urteil ist), mit bestraft würde.

Der Naumburger Fall stellt einen besonders eklatanten Fall von Justizwillkür dar.
Er ist jedoch kein Einzelfall: So hatte beispielsweise eine LG-Richterin in einem Zivilverfahren die Zeugenaussagen zwar einigermaßen korrekt protokolliert, aber dann in ihrer Urteilsbegründung völlig andere Zeugenaussagen passend zu einem Falschgutachten kreiert. Die Richter des OLGs Nürnberg als Berufungsinstanz – damals noch eine Tatsacheninstanz – haben das gebilligt und auch noch sachliche Fehler in ihre Urteilsbegründung geschrieben (AZ: 2 U 2062/97). RA Bossi, München: Es ist für Juristen eine Sensation, festzustellen, daß Urteile verschiedentlich falsch sind. Gerade am konkreten Fall des Urteils des Oberlandesgerichts Nürnberg, auf das ja in der Einstellungsverfügung Bezug genommen wird, läßt sich wie folgt darstellen, daß das Urteil in sich unschlüssig und eindeutig falsch ist. - Wir sind der Meinung, dass die bekannt gewordenen Fälle von Justizwillkür nur die Spitze eines Eisberges sind, d. h. wir glauben, dass in Deutschland sehr viele Fehlurteile aus sachfremden Gründen erlassen oder billigend in Kauf genommen werden (Juristen schätzen ca. 10 %, in bestimmten Fällen sogar bis zu 100 %(!)). Es gibt ja in Deutschland keine Qualitätskontrolle für Gerichtsverfahren - insbesondere nicht für die der OLGs. Hinzu kommen noch die irrtümlich falschen Urteile und Urteile mit unklaren Rechtsanwendungen, so dass Fachleute von insgesamt ca. 25 % oder noch mehr falschen Urteilen ausgehen.

Da unsere Seite eine politische Seite ist, ist hier nicht der richtige Ort, juristische Fehlentscheidungen aufzulisten. Dies würde zudem Bücher füllen. Der Hinweis, im Ausland wäre es auch nicht besser, ist kein Argument dafür, dass dann auch unsere Richter willkürlich handeln dürfen. Ebenso wenig ist es ein Trost für die Betroffenen, dass, wenn „nur“ ca. 25 % der Urteile falsch sind, dann ja die überwiegende Mehrheit der Gerichts-Urteile richtig ist. (Bei den 10 % und 25 % handelt es sich um Erfahrungswerte von Juristen, wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es unseres Wissens bisher leider nicht.)

Allein die Geschehnisse in Naumburg erfordern u. E. unbedingt eine Korrektur unserer Rechtspflege durch die Legislative. Es muss zwar die Unabhängigkeit der Richter gewahrt bleiben, die Gesetze sollten aber so klar formuliert sein, dass - so weit wie möglich - verhindert wird, dass Richter bei Gerichtsverfahren ungestraft willkürlich machen können, was sie wollen. Rechtsbeugung ist ein schweres Verbrechen und kein Kavaliersdelikt, wird aber in Deutschland fast nie verfolgt. Die Menschen erwarten, dass unsere Richter im Rahmen der Gesetze und der Rechtsordnung handeln.

Folgende Gesetzesänderungen sind aus unserer Sicht zwingend geboten:

  1. Der § 339 StGB (Rechtsbeugung) ist so zu formulieren, dass er vom BGH nicht mehr durch eine nicht verfassungskonforme Auslegung ausgehebelt werden kann. Am einfachsten wäre es, den Vorschlag der Professoren Bemmann, Seebode und Spendel zu übernehmen.
  2. Bei jeder Gerichtsentscheidung sollen alle Richter, die diese Entscheidung (z. B. Urteil) unterschrieben haben, auch für deren Inhalt verantwortlich sein. Wenn sich Richter nicht auf eine einheitliche Entscheidung einigen können, muss der betreffende Richter seine abweichende Meinung in die Entscheidung mit aufnehmen lassen. Beim BVerfG ist das Pflicht, nicht aber bei den OLGs. - Warum eigentlich nicht?
  3. Die damalige Bundesregierung hat 2001 eine Justizreform - unter Missachtung vielfacher Warnungen aus Fachkreisen - durchgesetzt, die zu einer erheblichen Einschränkung der Rechtssuchenden bei den Gerichten führte und u. U. Gerichte sogar dazu zwingt, ungerechte Entscheidungen zu treffen. So eine Rechtssystematik gibt es wohl nur in Deutschland – das wäre einmalig auf unserer Erde.

Die o. g. Änderungen bei der Gesetzgebung sind unserer Ansicht nach die notwendige Voraussetzung dafür, um Rechtsstaatlichkeit herzustellen, aber sie sind noch nicht ausreichend, um die Rechtsuchenden vor Justizwillkür zu schützen. Hierzu bedarf es weiterer gesetzlicher Regelungen, die Rechtsuchenden ermöglichen, sich gegen unfaire Behandlung wehren zu können.

Um hier den Rahmen nicht zu sprengen, nur ein paar Vorschläge in Stichpunkten ohne Anspruch auf Vollständigkeit (vieles gilt analog auch für Staatsanwälte):

  • Charakterliche Eignung der Richter
  • Ausreichende fachliche Kenntnisse der Richter
  • Wahrung des rechtlichen Gehörs
  • Pflicht zur Erörterung der Sach- und Rechtslage während des Verfahrens
  • Einhaltung der prozessualen Vorschriften
  • Ergebnisoffenes Verfahren, sachlicher Umgang mit den Prozessparteien
  • Zulassung und Bewertung aller angebotenen, relevanten Beweismittel durch das Gericht
  • Beseitigung der erheblichen Mängel bei der Begutachtung vor Gericht
  • Tonträgeraufnahme oder Wortprotokoll aller Gerichtsverhandlungen
  • Keine Nebentätigkeiten von Richtern, die Abhängigkeiten erzeugen oder ihre Richtertätigkeit behindern könnten
  • Genügend Zeit für jeden Richter, um seine Aufgaben gewissenhaft und ohne Zeitverzug erledigen zu können
  • Beförderung von Richtern nur nach Eignung und nicht nach Proporz (Vermeiden von Hausberufungen)
  • Fairen Schadensersatz für den durch die Justiz zugefügten Schaden
  • Verfolgung von Dienstaufsichtsbeschwerden
  • Beachtung der Gewaltenteilung
  • Schaffung eines Ombudsmanns für Justiz
  • Schaffung eines für jedermann freien Internetportals zur Darstellung von Fehlleistungen von Gerichten
  • Wahrung der Meinungsfreiheit, auch gegenüber Richtern, die sich beleidigt fühlen

(Anmerkungen zu diesen Verbesserungsvorschlägen)

Die schlimmen Zustände in der Justiz werden von vielen Fachleuten beklagt. Stellvertretend sei hier der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Willi Geiger genannt. Er stellte fest, dass das „genaue Ergebnis“ eines Prozesses „schlechthin unberechenbar geworden“ ist. Sein Zitat schließt mit: „Unter den in der Bundesrepublik obwaltenden Verhältnissen von den Gerichten Gerechtigkeit zu fordern, ist illusionär." (DRiZ 9/1982, Seite 325) Bisher ist - wie wir meinen – nichts zur Verbesserung dieser Zustände erfolgt.

Siehe weitere Zitate

„Tatsache ist, dass die Rechtsprechung fast jeglicher Kontrolle entbehrt. Auch für sie gilt: Unkontrollierte Macht korrumpiert.“ (aus dem „Aufruf an den Sonderparteitag der SPD in Berlin am 18. Oktober 2008“ des VGR /Link/). Angesichts dieser Situation darf man sich nicht wundern, dass es auch unter den Rechtsanwälten einige „schwarze Schafe“ gibt. Auch hier müsste einiges verbessert werden.

In einem demokratischen Rechtsstaat sollen die drei Gewalten einerseits unabhängig voneinander sein, andererseits sich aber gegenseitig kontrollieren. Genauso wie es z. B. eine Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes ist, den Gesetzgeber zu kontrollieren, so ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die Gesetze so auszugestalten, dass die Justiz nicht nach eigenem Gutdünken handeln kann. Außerdem muss die Justiz ausreichend ausgestattet sein, so dass sie ihre Aufgabe erfüllen kann.

Auch in unserer Partei befinden sich viele Juristen. Es müsste sich deshalb in ihr doch genügend Sachverstand befinden, geeignete Gesetzesvorschläge anzuregen. Wir haben leider den Eindruck, dass die Juristen bisher eher unsere Partei gehemmt und eine Verbesserung der Rechtspflege verhindert haben. Aber das kann ja geändert werden und dann wäre das ein Anlass mehr, unsere Partei für Wähler wieder attraktiv zu machen.
03.01.2011 gmr

 

Nachtrag vom 26.07.2011

Bei der Justizreform von 2001 wurden die Berufungs- und Revisionsmöglichkeiten für Zivilprozesse und damit die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland stark eingeschränkt.

§ 543 ZPO beschränkt die Revision auf Fälle, die „grundsätzliche Bedeutung“ haben oder „die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.“ Ob die Instanzen davor richtig gearbeitet haben oder nicht, ist hier nicht entscheidend. Dies haben wir bereits an anderer Stelle beschrieben.

§ 522 ZPO gibt den Richtern der Berufungsinstanz die Möglichkeit, die Berufung sofort und ohne Gerichtsverhandlung zurückzuweisen, ohne dass ein Rechtsmittel dagegen möglich ist.

Im Folgenden geht es um die Änderung des § 522 ZPO.

Inzwischen besteht Einigkeit bei allen im Bundestag vertretenen Parteien, dass § 522 ZPO in der jetzigen Form nicht bestehen bleiben kann, weil der Anteil der sofort zurückgewiesenen Berufungen bei den einzelnen Gerichten sehr unterschiedlich ist (zwischen ca. 5 % und ca. 27 %) /Link/. Vor allem die hohen Prozentsätze sehen u. E. nach Richterwillkür aus. Dass § 522 ZPO zu einer großen Ungerechtigkeit geführt hat, wird auch von Fachleuten gesehen (Vergleiche die Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf /Link/). Diese Ungerechtigkeit wird noch dadurch begünstigt, dass gegen eine sofortige Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 3 ZPO kein Rechtsmittel möglich ist.

Die Regierung plant nun, den § 522 ZPO zu ändern. So soll die Unanfechtbarkeit der Zurückweisung abgeschafft und der restliche Gesetzestext „kosmetisch“ etwas verändert werden. [05.06.2012: Inzwischen wurde § 522 ZPO geändert.]

Hinzukommt, dass die Regierung dafür sorgen will, dass (weiterhin?) nur für Fälle über 20 000 Euro Streitwert eine Revision möglich ist. Und anstatt dies in den § 522 ZPO aufzunehmen, will sie das u. E. trickvoll in anderen Gesetzen (§ 544 ZPO und § 26 EGZPO unter Nummer 8) „verstecken“. Fachleute befürchten, dass eine solche Grenze dazu führen wird, dass viele Berufungsinstanzen dann nur noch Fälle über 20 000 Euro Streitwert gründlich bearbeiten werden und die „kleineren“ nur „hoppla hopp“. - Ein Zweiklassenrecht! Die Bürger erwarten jedoch, dass die Richter der Berufungsinstanzen - wie alle Richter - immer korrekt arbeiten.

Unter diesem Gesichtspunkt sind die geplanten Änderungen aus unserer Sicht nicht ausreichend.

Die SPD und die anderen Oppositionsparteien schlagen vor, § 522 Abs. 2, 3 ZPO komplett zu streichen. Wir halten diesen Vorschlag für gut. Er wird auch von Fachleuten wie z.B. Prof. Dr. Reinhard Greger, früherer Richter am Bundesgerichtshof, unterstützt (s. Stellungnahme von Prof. Dr. Reinhard Greger /Link/). Aus unserer Sicht ist § 522 Abs. 2 und 3 ZPO überflüssig und lädt nur zur Richterwillkür ein. Die von der damaligen rot-grünen Regierungskoalition beabsichtigte Wirkung - nämlich die Vermeidung von aussichtslosen Berufungsverfahren und eine Kostenersparnis - hat das Gesetz kaum gebracht und so finden wir es richtig, wenn die SPD aus ihren damaligen Fehler gelernt hat und das Gesetz wieder abschaffen möchte.

Wenn man schon dabei ist, die negativen Auswirkungen der Justizreform von 2001 zu bereinigen, sollte die SPD auch einen Korrekturvorschlag für § 543 ZPO in den Bundestag einbringen. Z. B. könnte § 543 Abs. 2 wie folgt ergänzt werden:
… oder
3. die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Revisionsgerichts ist.

oder besser, der Abs. 2 des § 543 ZPO wird gestrichen.

Zum Abschluss wollen wir noch auf einen Kommentar im FOCUS hinweisen, dem wir nur beipflichten können /Link/.

26.07.2011 gmr

 

Nachtrag vom 14.01.2012

Meinungsfreiheit auch gegenüber der „3. Gewalt“ (Justiz)

Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat 2006 in einem Urteil gegen Österreich klargestellt, dass Meinungsfreiheit, wie sie in Artikel 10 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist, in einer Demokratie unerlässlich ist und auch Kritik an Richtern einschließt. Ein Richter darf sich nur dann gegen auch überspitzte Kritik wehren können (Klage wegen üble Nachrede oder Verleumdung), wenn er selbst keinen Anlass zur Kritik gegeben hat. Das Urteil gilt auch für Deutschland, weil Deutschland - wie andere EU-Länder auch - sich zur Einhaltung der Konvention verpflichtet hat. Im Übrigen wird dieses Recht auch im Artikel 5 unseres Grundgesetzes garantiert. Deshalb hat z. B. das Verfassungsgericht, Karlsruhe, die Verurteilung eines Journalisten „gekippt“, der im Fernsehen von einem „durchgeknallten Staatsanwalt“ gesprochen hatte (BVerfG, Beschl. v. 12. 5. 2009 – 1 BvR 2272/04 ) /Link/. Der betreffende Staatsanwalt hatte Anlass zu dieser Kritik gegeben.

Leider wird dieses Grundrecht immer wieder von unseren Gerichten missachtet. Wegen der allgemeinen Bedeutung, Gültigkeit und Aktualität haben wir ein diesbezügliches Urteil des Europäischen Gerichtshofs ins Deutsche übersetzt. Wir meinen, dass das Urteil auf alle Medien einschließlich Internetseitenbetreiber anwendbar ist, die die Öffentlichkeit unterrichten und vor unseriösen oder unseriös erscheinenden Praktiken anderer Personen, Amtspersonen, Firmen oder staatlichen Institutionen aufmerksam machen und/oder warnen wollen und sich dabei evtl. im Ton vergreifen.
14.01.2012 gr


Nachtrag vom 10.08.2012

Wir erhielten eine Zuschrift, in der voller Empörung steht, dass es Juristen und Politiker gäbe, die immer noch behaupten: „In der Justiz gibt es keine Missstände“ oder sogar, dass es unkorrektes Verhalten von Richtern erst gar nicht geben könne, weil diese unabhängig und ans Gesetz gebunden seien. Es solle erst einmal eine Liste mit Fehlurteilen vorgelegt werden.

Eine „amtliche“ Liste mit Fehlurteilen wird es u. E. kaum geben, denn die betroffenen Richter werden das zusammen mit ihren Kollegen zu verhindern wissen. Außerdem ist es für Politiker allemal bequemer, wenn sie die großen Missstände in der Justiz nicht zur Kenntnis nehmen. Oder - wenn es sich absolut nicht umgehen lässt - sie greifen in ihre Vorratskiste mit Ausreden wie z. B.: „Die Richter sind unabhängig“, manchmal sogar noch: „Die Staatsanwälte auch“, was natürlich nicht stimmt. Denn Staatsanwälte können Weisungen von der Regierung erhalten. „Wir sind eine Demokratie und haben deshalb Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive und Judikative.“ Dabei wird vergessen, dass sich die drei Gewalten gegenseitig kontrollieren sollen. Dies gilt auch für die Justiz! Bis heute können Gerichte folgenlos die Gesetze missachten, ohne dass innerhalb der Justiz eine Kontrolle wirksam wird. Während also das Verfassungsgericht eifrig die Regierung und das Parlament kontrolliert, unternimmt der Gesetzgeber u. E. leider nichts, um die Rechtsprechung per Gesetzgebung anzuhalten, faire Gerichtsverfahren durchzuführen.

Solange § 339 StGB (Rechtsbeugung) nicht so eindeutig formuliert wird, dass er vom Bundesgerichtshof (BGH) nicht mehr durch eine spitzfindige und völlig überzogene Auslegung ausgehebelt werden kann, solange wird es Gerichte geben, die vorsätzlich den Sachverhalt einseitig ermitteln, unfaire Verhandlungen durchführen und/oder falsche Urteile anfertigen, ohne dass dies für die betreffenden Richter Sanktionen nach sich zieht. Wir haben den Eindruck, dass gerade diese Gefahr bei den höheren Gerichten (OLG, BGH u. Ä.) besonders groß ist.

Man darf hier eines nicht übersehen: Richter sind keine „fehlerfreie, übernatürliche Wesen“, sie sind „normale Menschen“ und damit nicht frei von Fehlern. Doch dies kann nicht bedeuten, dieses Fehlverhalten zu akzeptieren oder einfach zu ignorieren. Man muss dagegen angehen und sich dafür einsetzen, ein Fehlverhalten - wie in allen Bereichen, wo Menschen tätig sind - soweit wie möglich zu verhindern.

Deshalb haben wir nochmals eine Recherche im Internet durchgeführt und festgestellt, dass sich die Zustände in der Justiz nicht verbessert haben. Im Gegenteil, die letzten Justizreformen haben den Zustand eher verschlimmert. Die vielen Zitate von Fachkundigen beweisen, dass es wirklich schwere Missstände in der Rechtspflege einschließlich der Richter gibt.

Im Internet finden sich auch erschütternde Schilderungen über zumindest aus der Sicht der Betroffenen falsch gelaufene Gerichtsverfahren. Allerdings ist es z. Z. für die Staatsanwälte – selbst wenn sie willig wären - Zeitverschwendung, solchen Fällen nachzugehen, weil spätestens die Richter des Bundesgerichtshofs ihre schützenden Hände über ihre Kollegen halten, die möglicherweise gegen § 339 StGB (Rechtsbeugung) verstoßen haben.

Wie auch schon vorher, haben wir auch für das Folgende nur wenige Zitate herausgegriffen, dessen Quelle wir nachvollziehen konnten.

Deutsche Juristen sind immer die Funktionäre des Staats gewesen und nicht die des Bürgers.
Prof. Richter Vultejus

Prof. Richter Vultejus wurde 1981 mit dem Fritz-Bauer-Preis ausgezeichnet. In seiner Dankesrede warnte er vor einer „Justiz als eines auf Beförderung angelegten Betriebes, weil ein die materiellen Wünsche und den persönlichen Ehrgeiz einspannendes Beförderungssystem den Richter zu korrumpieren geeignet ist“. /Link/

Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (…) verkündet“. „Der Rechtsstaat des Grundgesetzes vertraute die Rechtsprechung einem Richterstand an, der 12 lange Jahre bereit gewesen war, seinen Teil zum Machtmißbrauch unter dem Deckmantel der Rechtsanwendung beizutragen. Er vertraute auf die demokratische Gesinnung von Richtern, deren Beiträge zu antidemokratischem Denken und Handeln unstreitig und deren fehlende Neigung zur Selbstkritik so gerichtsnotorisch war wie ihre Unfähigkeit, ihr Denken neu auszurichten und die Demokratie für mehr zu halten als die Staatsform, die aufgrund der Zeitläufe nun einmal da war…. Der 23. Mai 1949 markiert den Aufbruch zur Demokratie. Und die Justiz?
Senatsrat Dr. Hans Wrobel, 1989
Aus: Senatsrat Dr. Hans Wrobel in „Verurteilt zur Demokratie - Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945 – 1949“, Verlag Decker & Müller, Heidelberg (1989) /Link/

Im Hinblick auf das unerlässliche Vertrauen der Bürger in die Rechtsordnung als Ganzes ist deshalb Justizunrecht die wohl zerstörerischte Form des Unrechts überhaupt.
Rechtsanwalt Rolf Bossi: „Halbgötter in Schwarz“, Eichborn Verlag, S. 141
(An anderen Stellen spricht er auch von „Justizkumpanei“ und „Kumpanei unter Richterkollegen“ (S. 21).)

Das Saarland ist ein kleines Land. Da hat man es nicht gern, wenn Fehler von Polizei und Staatsanwaltschaft die Bürger verwirren. Da tut keiner dem anderen weh, auch nicht ein Richter dem Staatsanwalt.” (Gisela Friedrichsen, DER SPIEGEL 37 / 2007)

Am 30.09.2001 war der 5-jährige Pascal spurlos verschwunden. Es wurde vermutet, dass er zuletzt in einer Kneipe gesehen, dort in einem Hinterzimmer missbraucht, ermordet und seine Leiche weggeschafft worden sei. Es gab nur widersprüchliche Zeugenaussagen. Nach dreijähriger Prozessdauer vor dem Landgericht Saarbrücken wurden alle Angeklagten freigesprochen. Die bekannte deutsche Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen hält zwar den Freispruch für richtig, meinte aber, die Urteilsbegründung „war kein Ruhmesblatt für die saarländische Justiz“. Außerdem kritisierte sie Fehlverhalten der beteiligten Behörden beim Umgang mit Aussagen von Kindern. In diesem Zusammenhang entstand das o. g. Zitat /Link/.

Der deutsche Jurist ist das Produkt einer Ausbildung, die ihn so gesinnungstüchtig macht, dass er jedwedem Regime dienen kann und deshalb auch dessen Wechsel übersteht.
Aus dem Leserbrief von Prof. Dr. Torsten Tristan Straub in der Süddeutschen Zeitung vom 06. Oktober 2001

Es gibt in der deutschen Justiz zu viele machtbesessene, besserwissende und leider auch unfähige Richter, denen beizukommen offenbar ausgeschlossen ist.
Dr. Egon Schneider, ehem. Richter am OLG Köln, in „Zeitschrift für anwaltliche Praxis“ 6/1999 vom 24.3.1999, S. 266)

Ein gewisses Problem liegt aus der Sicht des Bundesgerichtshofs auch darin, daß die Oberlandesgerichte von der bestehenden Möglichkeit, Revisionen zuzulassen, nur sehr zurückhaltend Gebrauch machen. In der Praxis erfolgt eine Zulassung vor allem dann, wenn der entsprechende OLG-Senat glaubt, die Rechtsfragen richtig entschieden und ein auch handwerklich gutes Urteil gemacht zu haben, das seiner Meinung nach ein paar Streicheleinheiten durch den Bundesgerichtshof verdient hätte. In wirklich zweifelhaften Fragen von grundsätzlicher Bedeutung unterbleibt die Zulassung dagegen manchmal. Im Hintergrund steht hier die Furcht, der Bundesgerichtshof werde das Urteil möglicherweise aufheben und die Sache vielleicht sogar zurückverweisen. Der damit bei Kollegen und Anwälten möglicherweise verbundene Ansehensverlust und die Aussicht, sich noch einmal mit der Sache befassen zu müssen, wirken abschreckend.
Vorsitzender Richter am BGH Gerd Nobbe, Festvortrag: “Der Bundesgerichtshof – Innenansichten zur Struktur, Funktion und Bedeutung”
Der Vortrag ist auch deshalb interessant, weil Herr Nobbe über das Verhältnis der Nachkriegs- und der NS-Justiz sprach.

Dies ist unabhängig davon, dass der XI. Zivilsenat („Bankensenat“) des Bundesgerichtshofs, dessen Vorsitzender Richter Nobbe war, „mit seiner bankenfreundlichen und verbraucherfeindlichen Rechtsprechung Hundertausende Anleger in den finanziellen Ruin, einige sogar in den Selbstmord“ „trieb“. „Zugleich hielten die Richter dieses Senats gegen Honorar in Bankseminaren Referate über ihre bankenfreundliche Rechtsprechung.“ Obwohl es sich dabei „um grobe Pflichtwidrigkeiten“ handelt, hat der Kontrollsenat seine Kollegen geschützt.
Aus der „Festschrift für Christian Richter II“, Nomos 2006, ab S. 470, Beitrag von Dr. Egon Schneider, ehem. Richter am OLG Köln

Erben der Firma Freisler
Henryk M. Broder über deutsche Gerichte
Anmerkung: Nach einer gescheiterten Klage machte der Journalist Henryk M. Broder gegenüber der SZ die Äußerung: „Es bleibt der Hautgout, dass die Erben der Firma Freisler entscheiden, was antisemitisch ist und was nicht“. Aufgrund einer Strafanzeige des Präsidenten des Frankfurter Landgerichts (LG) wegen Beleidigung musste darüber das Amtsgericht München verhandeln. Das Gericht fand zwar die Aussage geschmacklos, sprach aber Broder frei, weil er nicht einen speziellen Richter beleidigen wollte und sich die Justiz ihrem historischen Erbe stellen müsse. Wir meinen, dass im Unterschied zum LG-Präsidenten das Amtsgericht vernünftig handelte /Link/. Siehe unseren Nachtrag „Meinungsfreiheit auch gegenüber der „3. Gewalt“ (Justiz)“

Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Einen Schutz gegen faule Richter gibt es nicht. Und ich kann nur immer wieder betonen: Die richterliche Unabhängigkeit ist für die Rechtsuchenden da. Sie ist kein Privileg für den Richter; sie soll und sie darf nicht Deckmantel sein für Faulheit und Arroganz. Es gibt Berufe, in denen man Engagement mitbringen muß und nicht nach der Arbeitszeit schielen darf. Und ein Richter, der nur nach einem Job sucht, den hätte die Justizverwaltung nicht einstellen dürfen.
Professor Gerd Pfeiffer, Präsident des Bundesgerichtshofs, im „DER SPIEGEL“ 29/1983

Vorliegend ist das Interesse der Öffentlichkeit an einem hohen Ansehen der Justiz höher zu bewerten als Ihr [=Angeklagte, die Red.] Interesse, der Justiz Fehler nachzuweisen und die Justiz und ihre Personen zu diffamieren.
Aus einem Schreiben vom 06.05.1998 des ehemaligen Direktors des Amtsgerichtes Soltau, Rundt. Es ging um eine Betreuungsakte, die die Betroffene in einem Strafverfahren gegen sie schon mehrfach eingesehen hatte und zu ihrer Verteidigung nochmals einsehen wollte.

Wir hoffen, dass unsere Politiker, die gewählt werden möchten, die vielen Stimmen nicht weiter überhören und Missstände in der Justiz nicht weiterhin übersehen wollen. Und den Wählern raten wir, die zu wählenden Politiker öffentlich auf das Übel hinzuweisen und deren Antwort abzuwägen, bevor sie ihr „Kreuzchen“ machen.
10.08.2012 gmr

 
 

Nachtrag vom 04.07.2013

Wenn ein Richter die Verteidigungsschrift eines Angeklagten nicht liest und ihm auch noch verbietet, sich vor Gericht verteidigen zu dürfen - wie im Fall Mollath offenbar geschehen -, dann ist das u. E. kein Justizirrtum mehr, sondern richterliches Fehlverhalten. Der Jurist Dr. Thomas Darnstädt beschreibt und kommentiert in seinem Buch: „Der Richter und sein Opfer  Wenn die Justiz sich irrt“ eine Reihe meist bekannter Fälle aus der Strafjustiz und zeigt damit, wie in diesen Fällen die jeweiligen Richter und/oder die Ermittlungsbehörden versagt haben. Dr. Eschelbach, Richter am BGH, schätzt, dass ein Viertel aller Strafurteile Fehlurteile sind (Seite 14). Würde diese Schätzung zutreffen, würden pro Jahr 10 000 Menschen zu Unrecht verurteilt (Seite 15). Solche Fehlerquoten in der Justiz sind u. E. nicht hinnehmbar. Wenn ein Flugzeug abstürzt, wird ein sehr hoher Aufwand betrieben, um die Absturzursache aufzuklären und dann Maßnahmen zu treffen, dass dieser Fehler nicht mehr auftritt (Seite 306). In der Justiz gab es in den 60- und 70-Jahren des vergangenen Jahrhunderts einige Untersuchungen zu dem Thema „Fehler in der Justiz“ und ansonsten gab man sich in der Justiz und der Politik mit dem Statement, dass man Justizirrtümer hinnehmen müsse, zufrieden (ab Seite 303). Eine Qualitätskontrolle für Strafverfahren wird von der Justiz und Politik abgelehnt. Wohlgemerkt, es geht um Fehlleistungen von Richtern, Staatsanwälten und Ermittlungsbehörden, also um Justizwillkür und nicht nur um Irrtümer, was allein schon schlimm genug wäre für einen Rechtstaat.

Diese Fehlleistungen werden durch unser Rechtssystem begünstigt, wenn nicht gar gefördert.
So lautet § 261 StPO:
„Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“

Es kommt also nicht darauf an, ob dem Angeklagten eine Straftat ausreichend nachgewiesen wurde, sondern nur, ob das Gericht - aus welchen Gründen auch immer - zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Angeklagte die Straftat verübt habe. Gängige Formel in Urteilsbegründungen: „Zur Überzeugung des Gerichtes steht fest“ (Seite 231und zu § 261 StPO Seite 233). Dr. Darnstädt zeigt an den in seinem Buch behandelten Fallbeispielen, wie Richter Indizien fehlerhaft bewertet und nur solche Tatbestände verwendet haben, die sie für ihr Urteil brauchten. Tatbestände, die den Angeklagten hätten entlasten können, wurden oft wegelassen oder dem beabsichtigten Urteil angepasst. Selbst Geständnisse können falsch sein. Richter Eschelbach „schätzt die Quote unentdeckter falscher Geständnisse auf mehr als zehn Prozent.“ (Seite 106) Diese kommen - wie Dr. Darnstädt an mehreren Fällen zeigt - offensichtlich auf dubiosen und nicht nachvollziehbaren Methoden der Ermittler bei Verhören zustande. Auf diese Weise wird das Urteil auch revisionssicher. D. h., der BGH kann bei der Revision des Urteils nicht feststellen, ob das Urteil auf falsch interpretierten Indizien und/oder falschen Aussagen beruht. Die BGH-Richter dürfen - u.  E. absurderweise - nicht einmal in die Akten schauen, um zu prüfen, ob der Sachverhalt vielleicht anders war, sondern sie dürfen nur das Urteil lesen (Seite 279). Der Willkür von Gerichten ist also u. E. Tür und Tor geöffnet. Selbst wenn diese Willkür einmal aktenkundig wurde, wird der betreffende Richter aus u. E. falsch verstandener richterlicher Unabhängigkeit dafür nicht zur Verantwortung gezogen.

Wir meinen, dass die Prozessführung einschließlich der Urteilsbegründung der in diesem Buch dargestellten Fälle durch die jeweiligen Strafgerichte wirklich haarsträubend war. Dr. Darnstädt breitet in seinem Buch auch kein Geheimwissen aus, sondern nur Dinge, die zumindest Juristen und damit auch den Justizministern längst bekannt sein müssten. Es ist auch nicht das erste Buch zu diesem Themenkreis. Dr. Darnstädt schlägt „Sechs Punkte für sofort“ vor (ab Seite 340), um Justizirrtümer zu reduzieren. Sie decken sich zum Teil mit dem, was wir bereits früher gefordert haben.

Bisher sind Politiker „à la couleur“ offenbar nicht gewillt, den Zustand in der Justiz in Deutschland zu verbessern. Insbesondere die Justizminister wehren Verbesserungen in der Justiz ab, denn es könnte ja auch Geld kosten, und die Richter bilden eine so starke Lobby, dass sie sich gegen jede ernsthafte Qualitätskontrolle erfolgreich zu wehren wissen. Zu einer solchen Qualitätskontrolle würde gehören, dass jede Gerichtsverhandlung auf Tonträger oder sogar per Video aufgezeichnet wird und dadurch nachvollziehbar ist. Außerdem sollten (grobe) Verfahrensfehler (z. B. falsch oder gar nicht berücksichtigte Zeugenaussagen und/oder Indizien) ein Grund für ein Wiederaufnahmeverfahren sein.

Wir würden es begrüßen, wenn unsere Politiker das Buch von Dr. Darnstädt lesen und daraus lernen würden und unsere SPD dann endlich das wichtige Thema „Justiz“ anginge. Wenn unsere Politiker zeigen würden, dass sie auch wichtige Themen mutig anpacken wollen, wenn sie an die Regierung kommen, dann würde auch das Vertrauen der Wähler zur SPD zunehmen.
Kritik an Merkels Regierung ist wichtig. Sie reicht aber nicht, es muss mehr kommen!

Thomas Darnstädt
Der Richter und sein Opfer
Wenn die Justiz sich irrt

Piper Verlag GmbH, München 2013
ISBN 978-3-492-05558-1

04.07.2013 gmr

 
 

Nachtrag vom 29.12.2014

Wir möchten zwei weitere Bücher vorstellen:

Norbert Blüm
Einspruch!
Wider die Willkür an deutschen Gerichten

Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2014
ISBN 978-3-86489-066-6 (256 Seiten, 19,99 €)

Norbert Blüm (CDU), ehemaliger Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, schildert in seinem Buch unglaubliche Verhaltensweisen von Familienrichtern und Anwälten.
Wenn sich ein Ehepaar scheiden lässt, soll nach heutiger Gesetzeslage - ohne die Schuldfrage für das Scheitern der Ehe zu erörtern - das Familiengericht für einen fairen Interessensausgleich zwischen den beiden Partnern sorgen. Nach Lektüre dieses Buches gewinnt man jedoch den Eindruck, dass sich viele Richter überhaupt nicht der Mühe unterziehen wollen, nach einem fairen Ausgleich zu suchen. Die OLGs als Berufungsinstanzen scheinen dabei auch nicht besser zu sein.
Mag man auch über das Familienbild des Herrn Blüm geteilter Meinung sein, so hat aber das, was vor vielen Familiengerichten abläuft, u. E. nichts mehr mit Rechtsstaatlichkeit zu tun und müsste deshalb unbedingt geändert werden.
Wer nicht gleich das ganze Buch lesen möchte, kann zunächst mit Teil IV „Jagdszenen“, ab Seite 163, beginnen.

 

Ferdinand von Schirach
Der Fall Collini
Ungekürzte Taschenbuchausgabe, Februar 2013
Piper Verlag GmbH, München
ISBN 978-3-492-30146-6 (208 Seiten, 8,99 €)

Herr Collini, ein Italiener, kam in den Fünfzigerjahren als Gastarbeiter zu Mercedes, war erst Lehrling, hat dort die Gesellenprüfung gemacht und hat dann über 30 Jahre bis zu seiner Pensionierung in der Firma gearbeitet. In der ganzen Zeit hat er völlig unauffällig gelebt. Jetzt, 2 Jahre nach seiner Pensionierung, trifft er sich unter einem Vorwand mit dem Firmenchef Meyer eines anderen großen Unternehmens in einem Hotel und erschießt ihn dort. Nach der Tat lässt er die Polizei rufen, die ihn sogleich festnimmt.
Rechtsanwalt Leinen übernimmt den Fall als Pflichtverteidiger. Es ist sein erster Fall. Bald merkt er zu seinem Entsetzen, dass der Ermordete der Großvater seines Freundes war und er die Familie bestens kennt. Auch den Toten hat er als guten Menschen in Erinnerung. In der Gerichtsverhandlung schildert der Angeklagte Collini bereitwillig den Ablauf der Tat, zum Motiv aber schweigt er beharrlich. Die Staatsanwaltschaft kann trotz intensiver Nachforschung keinerlei Verbindung zwischen Meyer und Collini finden. Bei der Betrachtung der Bilder der Tatwaffe kommt dem Pflichtverteidiger Leinen eine Idee. …

Die Geschichte in diesem Buch ist spannend erzählt und vermutlich vom Autor frei erfunden, die Hintergründe jedoch sind erschreckend real und führen zu einem der finstersten Kapitel unserer deutschen Nachkriegsjustiz, zu vielfachem Unrecht, das heute noch nachwirkt.
Das Buch möge dazu beitragen, endlich die Personen in der Rechtspflege, einschließlich unseres Justizministers, wachzurütteln. Deshalb empfehlen wir, dieses Buch zu lesen.
29.12.2014 r

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Nachtrag vom 02.07.2017

Verschlepptes NS-Verfahren - Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt

Es sieht so aus, als ob am Landgericht Neubrandenburg der Prozess gegen den früheren SS-Mann Hubert Zafke nun endgültig geplatzt ist. Aus unserer Sicht hatte der Vorsitzende Richter kein Interesse, den Prozess zu führen und hat u. E. jede Gelegenheit genutzt, ihn seit 2015 zu verschleppen. Jetzt sind der Richter und seine beiden Beisitzer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden /Link1/, /Link2/. Ein neues Verfahren wird u. E. nicht mehr stattfinden. Der Angeklagte ist 96 Jahre alt und bis ein neues Verfahren in Gang käme, ist er vermutlich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, dem Verfahren zu folgen, oder ist sogar gestorben.
Siehe den offenen Brief /Link/.

Es gibt Überlegungen, ob der Richter mit dieser Verschleppungstaktik nicht - nach § 339 - das Recht gebeugt hat. Nach unserer bisherigen Erfahrung wird - wie fast in allen Fällen der falschen Prozessführung - spätestens der BGH seine schützende Hand über ihn halten.

Es ist müßig, hier darüber zu diskutieren, ob es einen Sinn hat, mutmaßliche Verbrecher, die vor über 80 Jahren bei Massenmorden mitgewirkt haben und inzwischen fast 100 Jahre alt sind, noch vor Gericht zu stellen. Bei solchen Verfahren kann es eigentlich nicht mehr um eine Bestrafung gehen, sondern nur noch um die rechtliche Feststellung, dass Herr X an den menschenverachtenden Taten bzw. Verbrechen der Nazi-Zeit beteiligt war. Das zumindest ist für die noch lebenden Opfer und deren Nachfahren wichtig.

Es gibt eine Reihe von Staatsanwälten und Richtern, die sich ernsthaft um die Aufarbeitung von Nazi-Unrecht bemüht haben. Trotzdem bleibt aber ein Unbehagen zurück, dass ähnlich wie in Kreisen der Bundeswehr und anderen staatlichen Einrichtungen u. E. gerade auch in der Justiz das Gedankengut der Nazizeit immer noch virulent vorhanden ist.

Es ist kontraproduktiv, wenn einige Politiker oder Betroffene die Verbal-Keule - „Man soll keine Gruppe unter Generalverdacht stellen“ - schwingen. Nazi-Gedankengut ist in unserer Gesellschaft immer noch weit verbreitet, da bedarf es noch viel Aufklärungsarbeit. Bei Unbelehrbaren - einschließlich Staatsanwälten und Richtern - müssten unserer Meinung nach rechtliche Schritte, die die Entfernung aus dem Staatsdienst zum Ziel haben, folgen.
02.07.2017 r

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