Intelligentes Stromnetz

Strommasten
Hochspannungsleitung

(Mit einer Ergänzung vom 23.05.2010)

Bis jetzt bestimmt der Stromkunde, wann er die elektrische Energie verbrauchen möchte, und sein Stromlieferant muss dann den erforderlichen Strom liefern. Die Elektrizität kam bisher überwiegend aus einigen wenigen Stromkraftwerken über das Stromnetz zum Verbraucher. Mit dem weiteren Ausbau der regenerativen Energien wird Strom in zunehmendem Maße an sehr vielen Stellen ins Stromnetz eingespeist. Dieser Strom kann stark schwanken und muss von den Netzbetreibern immer abgenommen werden. Um diese zunehmenden Anforderungen zu bewältigen, ist der Aufbau eines „intelligenten Stromnetzes“ („smart grid“) geplant. Hier werden auch die Stromkunden insofern eingebunden, dass sie den Strom - so weit wie möglich - dann abnehmen sollten, wenn der Stromlieferant gerade genügend Strom zur Verfügung hat. Dies soll über einen variablen Strompreis mit Hilfe von intelligenten Stromzählern („smart meter“) gesteuert werden.
Der Ausbau des „intelligenten Stromnetzes“ bedingt einen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger, so dass sich die Politiker aus unserer Sicht damit befassen müssen. Der Verbraucher darf nicht einseitig belastet werden. Er ist durch eine entsprechende Gesetzgebung zu schützen.

 

Das „intelligente Stromnetz“ (Englisch: smart grid) als riesiger Zukunftsmarkt ist fast schon ein Schlagwort geworden. Wenn man von so manchen Firmen, wie etwa Siemens, ABB (Schweiz), General Electric (USA), Cisco Systems (USA) und Telekom, hört, herrscht in der IT-Branche schon fast eine euphorische Stimmung - in Erwartung zweistelliger Milliardengewinne für Konzerne und Aktionäre. Warum soll das herkömmliche Stromnetz in Zukunft nicht mehr ausreichen? Was ist denn eigentlich ein „intelligentes Stromnetz“?

Das herkömmliche Stromnetz sorgt dafür, dass die elektrische Energie, die in Kraftwerken erzeugt wird, mit möglichst wenigen Verlusten zum Verbraucher kommt. Dabei bestimmen die Verbraucher, wann und wie viel Strom sie dem Netz gerade entnehmen möchten, indem sie elektrische Geräte oder Maschinen ein- bzw. ausschalten, und die elektrischen Versorgungsunternehmen (EVUs) müssen zeitgleich den geforderten Strom liefern. Das geschieht dadurch, dass Kraftwerke hoch oder heruntergefahren bzw. zu- oder abgeschaltet werden; kurzzeitig benötigter Strom (Stromspitzen) wird von Speicherkraftwerken und Gasturbinen erzeugt, geringe Schwankungen werden durch Spannungsänderungen im Netz ausgeglichen. - Mit anderen Worten, der Kunde braucht Strom und dieser kommt zu ihm über das Stromnetz. Dieses herkömmliche Stromnetz ist vergleichbar mit einer Einbahnstraße.

Aufgrund des technischen Fortschrittes und der Weiterentwicklung des Komforts in unserer Gesellschaft steigt der Stromverbrauch immer weiter an, wobei der Stromverbrauch sehr stark schwankt. Das Stromnetz muss so ausgelegt sein, dass es die höchste Belastung bewältigen kann, ohne dass es zusammenbricht. Das gilt natürlich auch für die Stromerzeugung, d. h. es müssen genügend Kraftwerke vorhanden sein. Zusätzlich müssen genügend Reserveleitungen bereitstehen für den Fall, dass eine Stromleitung versagt oder gar ein Kraftwerk ausfällt und der Strom aus anderen Kraftwerken bezogen werden muss.

Inzwischen müssen jedoch die Stromnetze auch Strom aufnehmen, der von Verbrauchern und Kleinunternehmern kommt, die zusätzlich zu Stromerzeugern geworden sind, etwa indem sie Biogas-, Photovoltaik-, Windkraftanlagen oder kleine Blockheizkraftwerke betreiben. Im Unterschied zu den herkömmlichen Kraftwerken müssen die Netzbetreiber diesen Strom wegen des „Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ (EEG) immer in das Stromnetz einspeisen, ob sie ihn gerade brauchen oder nicht. Die Netzbetreiber müssen deshalb ihre Stromnetze entsprechend aufrüsten und flexibel gestalten. Das heißt, das Stromnetz wird immer mehr zu einer Straße mit Gegenverkehr, wenn man bei diesem Vergleich bleiben möchte.

Eine (Teil-)Lösung dieses Problems war bisher (in Europa) das Zusammenschalten von Stromnetzen zu einem Verbundnetz. Der Vorteil eines solchen Netzes ist der, dass die elektrische Energie auch über weite Strecken transportiert werden kann, wenn z. B. in einer ganzen Gegend wegen Windflaute die Stromversorgung durch Windkraftwerke ausfällt oder wenn andere Kraftwerke ausfallen. Das Verbundnetz könnte später auch den Strom aus Sonnenkraftwerken in der Sahara oder in Südeuropa zu uns transportieren. Ein Verbundnetz erfordert einen sehr hohen technischen Aufwand, vor allem dadurch, dass das Verbundnetz für Stromspitzen ausgelegt werden muss, die vielleicht nur eine Stunde im Jahr vorkommen. Deshalb wird ein Weg gesucht, diese Stromspitzen zu reduzieren.

Die Lösung ist sicherlich nicht die, einfach keine Kohlekraftwerke mehr bauen zu wollen und die Atomkraftwerke (AKWs) abzuschalten, wie uns Ökoaktivisten, die Grünen und leider auch unsere Parteispitze einreden möchten. In diesem Fall wird der Strom teurer, weil das Angebot knapp wird, der Strom aus Erdgas erzeugt werden muss und wir Strom aus dem Ausland kaufen müssen. Dann müssen wir mit viel mehr Stromausfällen rechnen, wenn Stromspitzen entstehen oder bei der Stromversorgung etwas ausfällt. Die großen Stromverbraucher (wie Industriebetriebe) werden verstärkt ins Ausland abwandern (müssen). Deutschland braucht zwar auch Dienstleistungsbetriebe, aber es ist ein gefährlicher Irrglaube, zu meinen, damit allein könne Deutschland seinen Lebens- und Entwicklungsstandard halten. Wir brauchen auch ein florierendes produzierendes Gewerbe und dies bedingt einen hohen Stromverbrauch.

Da die Fachleute natürlich auch wissen, dass ohne neue Kraftwerke ein Engpass bei der Stromversorgung entstehen wird, sollen dann entsprechend viele Gaskraftwerke gebaut und Strom aus dem Ausland zum „kurzfristigen Leistungsausgleich“ gekauft werden /Link/. Wenn schon Erdgas im großen Stil zur Stromherstellung verwendet werden soll, ist es - wie vorgesehen - optimal, die Abwärme zum Heizen von Gebäuden zu nutzen (Kraft-Wärme-Kopplung). Das geht aber nur in kalten Jahreszeiten. - Bedenklich wäre aus unserer Sicht, wenn das Erdgas, das aus Russland über die Ostsee-Pipeline zusätzlich nach Deutschland strömen wird, für Stromkraftwerke eingesetzt würde. Einmal, weil dann die Abhängigkeit Deutschlands von einem Gaslieferanden zu groß wird und vor allem, weil Erdgas eigentlich zur Stromherstellung zu wertvoll ist und besser in der Chemie und in privaten Haushalten genutzt werden sollte.

Die Lösung soll das „intelligente Stromnetz“ werden:

Um die ungleichmäßige Belastung der Netze zu vermeiden, sollen die Verbraucher in Zukunft dazu animiert werden, den Strom zu den Zeiten abzunehmen, die vom Stromlieferanten vorgegeben werden, um starke Schwankungen des Stromverbrauchs auszugleichen. Dazu soll in jedem Haus ein Stromzähler installiert werden, der seine Daten mit dem Stromlieferanten austauscht, etwa über eine Internetleitung. Über diese Datenleitung wird dem Stromzähler mitgeteilt, wie teuer der Strom gerade ist, wobei der Strompreis dem jeweiligen Verbrauch angepasst wird. Der Stromzähler wird so ausgestattet, dass er auch selbständig Geräte, etwa die Waschmaschine, evtl. auch den Kühlschrank oder eine Wärmepumpe einschalten kann, wenn der Strom gerade billig ist. Den elektrischen Kochherd wird man besser wie bisher ohne Rücksicht auf den momentanen Strompreis betreiben, sonst kann es passieren, dass die warme Mahlzeit erst um 2 Uhr nachts eingenommen werden kann. Und wenn schon eine Datenleitung da ist, dann kann auch der Stromverbrauch kontinuierlich an den zuständigen Stromanbieter gemeldet werden. Der Kunde könnte dann ständig im Internet seinen aktuellen Stromverbrauch einsehen und dadurch unnötige „Stromfresser“ aufspüren. Es braucht auch keiner mehr zum Ablesen ins Haus zu kommen. Der Hauptzweck der vom Verbraucher gelieferten Informationen soll natürlich dazu dienen, dass das europäische Verbundnetz jederzeit optimal ausgenutzt wird und dass weniger Kraftwerke nur für den Fall bereitgehalten werden müssen, wenn der Strom aus der Windkraft oder Photovoltaik ausfällt. Dies ist keine leichte Aufgabe, weil sehr viele Komponenten - wie Stromabnehmer, kleinste bis sehr große Stromproduzenten, Stromleitungen mit Haushaltsstrom (220 Volt) bis Hochspannungsleitungen mit 380000 Volt, Transformatoren aller Art bis hin zu Umspannwerken, Schalter, Sicherungen und Speicherkraftwerke - koordiniert und auch noch Störungen aller Art abgefangen werden müssen. Da wir in Europa ein Wechselstromnetz mit 50 Hz haben, müssen alle Komponenten synchron (d. h. im gleichen Takt) laufen. In Zukunft wird noch die Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) für weite Strecken hinzukommen und/oder die Gleichstromübertragung zum Auftrennen einzelner Stromnetze. Solche einzelne Stromnetze könnten entstehen, wenn die Bewohner eines Dorfes oder auch eines größeren zusammenhängenden Gebietes den Strom selbst herstellen wollen, z. B. aus erneuerbaren Energien.

Diese wenigen Ausführungen sollen nur zeigen, dass der Aufbau eines Verbundnetzes eine gewaltige Aufgabe ist.

Es ist auch schon die Idee aufgetaucht, dass in Zukunft Elektroautos, die gerade nicht zum Fahren benutzt werden, nicht nur zum Aufladen ans Stromnetz angeschlossen werden sollen, sondern bei Bedarf auch einen Teil ihres in der Batterie gespeicherten Stromes wieder ans Netz zurückgeben können. D. h., die Elektroautos könnten auch als lokale Stromspeicher fungieren. Klar ist jetzt schon, sollten sich Elektroautos einmal durchsetzen, wird auch vermehrt Strom verbraucht.

Das ist schöne Zukunftsmusik: Ein Stromnetz in Europa, das perfekt alle Stromerzeuger und -verbraucher vereint. Dies ist sicher sinnvoll im Hinblick auf eine effizientere Nutzung der regenerativen Energieerzeugung, um mit Verlusten verbundene Energiespeicherung bzw. die erforderliche Bereitstellung von Ersatzkraftwerken zu vermeiden. Die Idee wirft aber eine Reihe kritischer Fragen auf und hier sind die Politiker aufgefordert, mit den Stromerzeugern und unabhängigen Fachleuten Lösungen zu erarbeiten, ehe wir alle von der neuen Technik überrollt werden.

  • Das intelligente Stromnetz muss beherrschbar bleiben.
  • Die erforderlichen neuen Stromzähler sind hoch komplex wie Computer. Hinzu kommen die Datenwege und Rechenzentren bei den Stromanbietern. Diese muss der Kunde letztendlich finanzieren, also wird der Strom zwangsläufig teurer werden, es sei denn, das Stromnetz wird erheblich billiger, weil es keine so großen Spitzen mehr abfangen muss und weil evtl. weniger Kraftwerke benötigt werden. Es besteht eher die Gefahr, dass durch den Aufbau solcher Stromnetze der Strom viel teurer wird als bisher und zwar auch dann, wenn die Verbraucher viel Strom einsparen würden. Die Kosten für die Stromnetze einschließlich -zähler sind fixe Kosten, die auf die Verbraucher umgelegt werden. Einige Firmen erhoffen sich - wie bereits gesagt – hohe Gewinne beim Aufbau des „intelligenten“ Stromnetzes. Hier muss der Staat (z. B. die Bundesnetzagentur /Link/) seine Hoheitsrechte wahrnehmen, um das Verbundnetz zu überwachen und, falls nötig, regulierend eingreifen zu können.
    Es wäre eventuell zu überlegen, ob das europäische Verbundnetz nicht in den Besitz der einzelnen EU-Staaten gehört oder sonst wie in Allgemeinbesitz übergeführt werden sollte. Unsere Gesellschaft kann es sich nicht leisten, mehrere Stromnetze parallel aufzubauen. Also besteht hier kein Wettbewerb. Freier Wettbewerb ist aber eine Voraussetzung für die Privatwirtschaft. Monopolisten können überhöhte Preise festlegen, wenn die Preise nicht von gleichberechtigten Partnern, nämlich zwischen Stromlieferant und Verbraucher, ausgehandelt werden können.
  • In Italien wurden die neuen, intelligenten Stromzähler bereits eingeführt und zwar einfach nur deshalb, um Kunden, die säumig zahlen, den Strom schnell abschalten zu können, ohne dass ein Mitarbeiter des Stromversorgers extra zum Verbraucher gehen muss. Wann Stromanbieter den Strom abstellen dürfen, sollte in Deutschland gesetzlich fair geregelt sein.
  • Der Kunde wird in seiner Freiheit eingeschränkt, wenn er beim Stromverbrauch reglementiert wird. Es muss geregelt werden, dass diese Einschränkung vertretbar, d. h. die zeitliche Gestaltung der Stromtarife zumutbar bleibt.
  • Durch die Speicherung des zeitlichen Verbrauches des Stromes wird indirekt ein Profil der Lebensgewohnheiten des Verbrauchers beim jeweiligen Stromanbieter abgespeichert. Nicht ohne Grund zeigt Google Interesse daran, Strom zu verkaufen /Link/. D. h. es entsteht eine neue Datensammlung, die genauso kritisch zu behandeln ist, wie es das Verfassungsgericht gerade bei den Telekommunikationsdaten vorgeschrieben hat.
    Der Datenschutz ist sicherzustellen!
    Datenmissbrauch muss immer strafrechtlich verfolgt werden. Außerdem sollte Datenmissbrauch auch zivilrechtlich (mit Umkehr der Beweislast) verfolgt werden können!
    Eigentlich braucht u. E. nur der Endverbrauch in den einzelnen Tarifen für vielleicht sechs Wochen nach Zusendung der Stromrechnung gespeichert zu werden. Alle anderen Daten sollten u. E. nach wenigen Stunden gelöscht werden, mit Ausnahme von anonymisierten Daten für Statistiken.
  • Es besteht die Gefahr, dass der „intelligente“ Stromzähler auf die Bedürfnisse des jeweiligen Stromanbieters zugeschnitten wird. D. h., jeder Stromanbieter hätte dann sein eigenes System. Dies ist unbedingt zu vermeiden, um Kunden auch weiterhin einen kostenlosen Wechsel des Stromanbieters gewährleisten zu können. Außerdem darf auch nicht der Wettbewerb bei den Stromzähler-Herstellern unterbunden werden. D. h., es sind - zumindest in Europa - Normen festzulegen.
  • Es sind Sicherheitsstandards festzulegen, mit denen gewährleistet wird, dass das Stromnetz nicht von Hackern lahmgelegt werden kann /Link/. Solange keine zuverlässigen Sicherheitsstandards existieren, sollte auf die Einführung von „intelligenten“ Stromzählern verzichtet werden (außer für Testvorhaben).
  • Es sind Überlegungen darüber anzustellen, wie vorzugehen ist, wenn ein solcher Stromzähler angeblich oder wirklich unkorrekt arbeitet. Es muss also wiederum eine unabhängige staatliche Kontrollinstanz (evtl. auch hier die Bundesnetzagentur /Link/) geben, die solchen Vorwürfen nachzugehen hat. Es ist auf eine funktionssichere Bauweise der Stromzähler zu achten.

Der Verbraucher spart durch das intelligente Stromnetz kaum Energie, weil der Energieverbrauch nur zeitlich verschoben wird. Allenfalls wird er energiebewusster, wenn er seinen Stromverbrauch unmittelbar beobachten kann. Er hofft – vermutlich vergebens –, dadurch Kosten sparen zu können, indem er einen Teil seines Energieverbrauches in die Zeit des günstigsten Tarifes verlegt.

Doch das intelligente Stromnetz wird u. E. kommen und wir halten das auch für gut. Gerade weil die regenerative Energieerzeugung ausgeweitet werden soll, werden wir in Zukunft zunehmend den Strom verbrauchen müssen, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Es ist auch eine Chance für die IT-Industrie. Achten wir aber darauf, dass es zum Nutzen der Allgemeinheit und nicht nur zu dem der Konzerne geschieht. Dies muss nicht nur bundesweit, sondern europaweit einheitlich geschehen und die Freiheitsrechte der Menschen müssen dabei gewahrt bleiben.

Die Einführung von intelligenten Stromnetzen wäre ein Thema, das unsere Partei jetzt konstruktiv aufgreifen sollte. - Also „smart grid“ ja, aber zum Wohl der Menschen.
15.04.2010 gr

 

Ergänzung vom 23.05.2010

Es gab in der Vergangenheit mehrere große Stromausfälle /Link/, die zwar immer durch einen Einzelfehler (z. B. Ausfall eines Kraftwerks, Versagen einer Netzkomponente) ausgelöst wurden, sich aber dann sehr verheerend ausgewirkt haben, weil das betreffende Stromnetz mangelhaft war. Dies wird am Stromausfall vom 28.09.2003 in Italien demonstriert. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass Absichtserklärungen - wie „wir fordern die Energiewende und den schnellen Ausstieg aus der Atomenergie “, „wir fordern bessere Stromspeicher“ und „wir wollen möglichst viele Windräder bauen“ usw. – allein nicht weiterhelfen, sondern dass in den Ausbau bzw. Umbau der Stromversorgung noch sehr viel Know-how investiert werden muss. Know-how, das sich unsere Forscher und Techniker zum großen Teil erst noch erwerben müssen.

Am 28.September 2003 war in Italien der Strom komplett ausgefallen. Ursache dafür war zunächst, dass die Hochspannungsleitung in der Schweiz, durch die der elektrische Strom aus Deutschland nach Italien geleitet wird, ausgefallen war. Dadurch wurde die zweite Hochspannungsleitung, durch die der elektrische Strom aus Frankreich nach Italien geleitet wird, überlastet und darauf automatisch abgeschaltet. Diese beiden Ausfälle führten zu Unterbrechungen im Internetverkehr. Dadurch wurde auch die für den Betrieb des italienischen Stromnetzes benötigte Kommunikation gestört, mit der Folge, dass immer weitere Teile des italienischen Stromnetzes und Internetknoten ausfielen ( Dominoeffekt) bis hin zum Blackout. (Zu den großen Stromausfällen siehe /Link1/, /Link2/, /Link3/.) - Im übrigen Europa bedeutete der dadurch plötzlich zu viel vorhandene Strom eine erhebliche Belastung für das Stromnetz, die aber glücklicherweise abgefangen werden konnte.

Durch diesen Blackout in Italien wurde unfreiwillig vorgeführt, dass ein kleiner Fehler – Überspannungsfunken waren offenbar in einen Baum geschlagen – in einem komplizierten Stromnetz praktisch das ganze Netz lahmlegen kann. Es reicht also nicht nur aus, Ersatzleitungen zu verlegen und Ersatzkraftwerke bereitzustellen (was natürlich auch zu geschehen hat), sondern es muss sichergestellt werden, dass bei einem störungsbedingten Ausfall einer beliebigen Komponente das Netz nicht zusammenbricht. Fachleute sprechen dabei vom N-1-Kriterium, das eingehalten werden muss. (Siehe die Erläuterung in Abschnitt 3.3.1 in /Link/.) Eine Mindestforderung ist also, dass jedes Stromnetz nach dem N-1-Kriterium ausgelegt ist. Wir sind aber der Ansicht, dass dies für die Sicherheit eines komplexen Stromnetzes nicht ausreicht, sondern dass für derartige Stromnetze zusätzlich mit wissenschaftlichen Methoden eine Netzwerkanalyse durchgeführt werden müsste, die unser gesamtes Verbundnetz umfasst /Link/. Im Unterschied zu einfachen Stromnetzen, wie sie früher bestanden hatten, reicht es u. E. heute nicht mehr aus, alle Teile des Netzes nur getrennt zu prüfen. Allgemein gilt: Netzwerkanalysen von nicht linearen Netzen stellen eine große Herausforderung für die Wissenschaftler dar. Das gilt für Stromnetze genauso wie für das Finanzsystem, was ja auch ein Netz von Banken, Staaten mit ihrem Finanzgebaren, Hedgefonds, Spekulanten, Verbrauchern usw. darstellt. Unser Staat wird aber nicht darum herum kommen, für entsprechende Forschungsvorhaben bzw. die Auswertung von Forschungsergebnissen und deren Umsetzung Geld ausgeben zu müssen, sonst tritt im Stromnetz (genauso wie im Finanzsystem) der nächste Blackout ein.

Eine Analyse des o. g. Blackouts in Italien ergab, dass die „N-1“ Sicherheit des Stromnetzes nicht gegeben war. Mit anderen Worten, dass das Stromnetz zusammengebrochen war, als nur eine Komponente, nämlich eine Hochspannungsleitung, versagt hatte. Dies lag daran, dass die Hochspannungsleitungen, die nach Italien führen, schon im Normalbetrieb zu hoch belastet waren. Ein solcher Zustand sollte verboten sein. Die europäischen Staaten sollten u. E. der Stromindustrie vorschreiben können (einschließlich ausreichender Kontrollmöglichkeiten), für die „N-1“ Sicherheit des Stromnetzes zu sorgen und Fehlverhalten mit hohen Sanktionen und Schadensersatzverpflichtungen zu belegen.

Aus unserer Sicht zeigt das Beispiel Italien weiterhin, dass es nicht sinnvoll ist, wenn ein Land sich völlig auf den Stromimport aus anderen Ländern verlässt. Italien bezog damals etwa 50% der benötigten elektrischen Energie aus dem Ausland über offenbar nur zwei Hochspannungsleitungen. Es scheint uns daher für Deutschland keine Lösung zu sein, den Strom aus fernen Ländern zu beziehen, nur weil wir die Nachteile bei der Stromerzeugung (Staub, Feinstaub, radioaktive Abfälle, CO2) nicht haben wollen.

Wie oben bereits erwähnt, haben wir in Europa (wie fast? überall auf der Welt) ein Wechselstromnetz. Wechselstrom hat gegenüber Gleichstrom den sehr wichtigen Vorteil, dass in einfacher Weise mit Transformatoren (Trafos) die Spannung hoch transformiert, dann über Hochspannungsleitungen transportiert und wieder herunter transformiert werden kann. Dafür muss aber in Kauf genommen werden, dass das Stromnetz immer synchron laufen muss. Das bedeutet, überall im Netz muss der Wechselstrom zu denselben Zeitpunkten seine Richtung wechseln. Wenn durch einen Fehler im Stromnetz kein Gleichgewicht zwischen erzeugtem und abgenommenem Strom besteht, kann es innerhalb von Sekunden passieren, dass der Wechselstrom nicht mehr überall im Netz zu denselben Zeitpunkten seine Richtung wechselt. Wenn das aber der Fall ist, muss der Strom an diesen Stellen sofort unterbrochen werden mit der Folge, dass zumindest in Teilen des Netzes der Strom ausfällt oder Verbraucher vom Netz genommen werden müssen.

Die Stromnetze können auch dadurch überlastet werden, dass die Blindleistung im Netz zu hoch ist. Hierbei handelt es sich um elektrische Ströme, die im Stromnetz nur nutzlos hin und her fließen, ohne verbraucht zu werden. D. h. in einem Stromnetz können zusätzliche Ströme fließen, die das Stromnetz zusätzlich belasten, ohne dass sie dem Verbraucher etwas nützen. Solche Ströme entstehen u. a. bei Motoren und Transformatoren (in der Industrie und privat bei Klimaanlagen, elektrisch angetriebene Wärmepumpen, …). Offenbar ist am 12.07.2004 der Strom in Athen und Umgebung ausgefallen, weil die Blindströme im Netz zu hoch waren. Wegen der vielen laufenden Klimaanlagen wurde sowieso schon viel Strom verbraucht und das Netz war stark belastet. Und durch die zusätzlichen Blindströme ist dann u. E. das Stromnetz überlastet worden. Hier müssen die Hersteller von Geräten (und die Verbraucher) verpflichtet werden, durch geeignete Maßnahmen Blindströme weitgehend zu vermeiden. In der Industrie ist die Vermeidung von Blindströmen unseres Wissens schon lange Zeit Standard. Diese Einrichtungen (im Normalfall einfaches Zuschalten von elektrischen Kondensatoren) zur Vermeidung von Blindströmen könnten u. E. auch vom intelligenten Stromzähler gesteuert werden.

Weiterhin sehen wir es als kritisch an, wenn große Kraftwerke wie Kohle- und AKWs einfach durch viele kleinere Kraftwerke ersetzt werden, weil dann die Taktgeber für unser Stromnetz fehlen. D. h., die Regelung unseres Stromnetzes wird erheblich schwieriger. Im Übrigen kann man bei Bedarf auch die Leistung von AKWs im Minutenbereich regeln und sie so im Gegensatz zur Windkraft zur Stabilisierung des Stromnetzes einsetzen. Dies wird nur nicht so gern gemacht, weil die AKWs am preisgünstigsten mit Volllast betrieben werden /Link1/, /Link2/.

Aus all diesen Gründen sind Aussagen mancher Politiker und Umweltaktivisten, die nur die Leistung der vorhandenen Kraftwerke zusammenzählen und dann zum Ergebnis kommen, das reiche aus, irreführend. Für eine sichere Stromversorgung kommt es eben nicht nur darauf an, dass rechnerisch die Gesamtleistung aller Kraftwerke dem voraussichtlich benötigten Strom entspricht, sondern die Kraftwerke, das Stromnetz und die Stromverbraucher müssen aufeinander abgestimmt und fehlertolerant sein.

Natürlich ist es auch wichtig, weitere Speicherkraftwerke aufzubauen. Wie schon häufiger erwähnt, wünschen wir uns, dass in Zukunft dazu auch Batterien und/oder Brennstoffzellen dezentral eingesetzt werden könnten. So weit ist man aber noch nicht. Dies kann auch nicht durch vollmundige Statements von Politikern erreicht werden, sondern nur durch konsequente Forschungstätigkeit und Umsetzung in die Praxis. Hier ist die Politik gefordert, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.

Wir erwarten von den Politikern, dass sie dafür sorgen, dass nicht nur der Ausbau der regenerativen Energie, sondern auch die dazu notwendige Infrastruktur (also Stromnetz, Stromspeicherung) vorangetrieben wird, ohne dass es zu Engpässen kommt. Der Strom soll für alle bezahlbar (Versuche dazu von 2006: /Link1/, /Link2/) und die Umwelt soll möglichst intakt bleiben. Wir rufen daher unsere Politiker und die Gesellschaft zur Besonnenheit auf.

Wer sich weiter in die Technik der Stromversorgung vertiefen möchte, findet dazu einiges in der Wikipedia. Wir haben sie hier öfters als Quelle benutzt. Weiterführende Links findet man auch noch hier .

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