(eingestellt am 30.05.2007, letzte Änderung am 12.07.2007)
Eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle sind irrtümliche, fahrlässige oder gar vorsätzliche Verstöße gegen die Vorschriften zur Bedienung eines Kernkraftwerkes, die im jeweiligen Betriebshandbuch festgelegt sind. Aus diesem Grund wird ein hoher Aufwand betrieben, um solche Verstöße zu unterbinden.
- Dazu gehört eine Schulung der Betriebsmannschaft, auch am Simulator. (Der Simulator sieht wie die Kommandozentrale im betreffenden Kernkraftwerk aus und verhält sich auch so. Deshalb können am Simulator auch evtl. Störfälle durchgespielt werden.)
- Technische Einrichtungen, um eine Fehlbedienung zu vermeiden. Aufgrund langjähriger Erfahrungen sind die Kernkraftwerke weitgehend gegen Fehlbedienung (z. B. gegen Drücken eines falschen Knopfes) abgesichert.
- Automatische Meldung aller relevanten Ereignisse (Vorkommnisse) in einem Kernkraftwerk an die jeweilige Landesaufsichtsbehörde.
Als Beispiel sollen hier die Vorfälle um die Notkühlung des Kernkraftwerkes Philippsburg 2 (KKP 2) /Link/ in Baden-Württemberg, Landkreis Karlsruhe, aufgezeigt werden, da diese gravierender waren und noch nicht so lange zurückliegen.
Die Anlage KKP 2 war am 12. August 2001 nach der Jahresrevision wieder in Betrieb genommen worden. Dabei waren in drei der vier Wasser-Flutbehälter die im Betriebshandbuch vorgeschriebenen Füllstände nicht gegeben. Das fehlende Wasser wurde dann vor dem nuklearen Anfahren nachgefüllt. Es wäre also immer genügend Wasser in den Behältern gewesen, wenn die Notkühlung benötigt worden wäre. Bei Kontrollarbeiten im Zeitraum vom 25. August bis zum 28. August 2001 wurde dann festgestellt, dass die Bor-Konzentrationen in drei der vier Behälter seit dem Wiederanfahren nach der Revision unter dem vorgeschriebenen Wert lagen, da nur Wasser ohne Borsäure nachgefüllt worden war. Aus diesen Behältern wird das Wasser entnommen, wenn bei einem Störfall Wasser zur Notkühlung des Reaktors benötigt wird. Als Sofortmaßnahme wurde durch Auffüllen mit Borsäure in den einzelnen Behältern der vorgeschriebene Zustand wieder hergestellt.
Die Borsäure hat die Aufgabe, die Kernreaktion zu stoppen, falls die mehrfach ausgelegte Reaktorabschaltung doch einmal total versagen sollte, was bisher noch nie geschehen ist. (In Tschernobyl sind die Bremsstäbe, die die Kettenreaktion stoppen sollten, vom Reaktorfahrer zu hoch aus dem Reaktor herausgezogen worden. Es wurde dann zu spät bemerkt, dass dadurch der Reaktor unkontrolliert hoch fuhr und aufgrund der Bauweise des Kraftwerkes nicht mehr zu stoppen war.) Durch die zu geringe Bor-Konzentration zwischen dem 12. August und 28. August 2001 im KKP2 wäre man in diesem Zeitraum möglicherweise nicht in der Lage gewesen - wenn im Falle eines Störfalls die Abschaltung total versagt hätte - den Störfall zu beherrschen.
Da somit der Betreiber zwischen dem 12. August und dem 28. August 2001 das Kernkraftwerk unvorschriftsmäßig betrieben hatte, hatte er sich gemäß des Atomgesetzes strafbar gemacht und zwar völlig ungeachtet dessen, dass nichts passiert ist.
Aus diesem Grund hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe Ermittlungen durchgeführt.
Unabhängig davon – wohl im Zuge dieser Ermittlungen – wurde dem Betreiber im Jahr 2004 von Gutachtern eine andere, strengere Formel zur Berechnung der Notkühlung vorgeschlagen. Der Betreiber hat dann am 13. Januar 2005 der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Ministerium für Umwelt und Verkehr des Landes Baden-Württemberg, telefonisch mitgeteilt, es könne aufgrund einer Lücke im Nachweis nicht ausgeschlossen werden, dass ein Kühlmittelverluststörfall (z. B. durch Bruch einer Rohrleitung) nicht beherrscht werde. Nachdem der Betreiber am 13. Januar 2005 Sofortmaßnahmen ergriffen hatte, bestand nach Beurteilung des Umweltministeriums Baden-Württemberg keine Gefahr mehr. Der Expertenstreit ging dann darum, ob der Betreiber des KKP 2 schon früher einen neuen Nachweis hätte vorlegen müssen, dass die Notkühlung mit Sicherheit funktioniert.
Man muss dabei berücksichtigen, dass die Änderung einer Berechnungsmethode auch einen Einfluss auf andere Kernkraftwerke hat und u. U. hohe Kosten verursachen kann. Denn es muss gewährleistet sein, dass das Kernkraftwerk auch bei Auftreten von Fehlern noch sicher ist, andernfalls muss es umgebaut oder stillgelegt werden. Deshalb müssen solche Berechnungsmethoden oder Vorgehensweisen sehr genau abgesichert werden und dies ist in der Regel sehr zeitaufwendig, da u. U. Experimente dazu durchgeführt werden müssen.
Hinzu kommt noch der juristische Streit, ob ein Kernkraftwerk, wenn Änderungen vorgenommen worden sind, eine neue Betriebsgenehmigung benötigt. Wäre inzwischen die Diskussion um Kernkraftwerke nicht ideologisch so hoch aufgeheizt, dann wäre eine neue Genehmigung kein Problem, wenn alle Nachweise zur Sicherheit geführt sind, denn eigentlich müsste jeder ein Interesse daran haben, dass unsere Kernkraftwerke immer - soweit wie möglich - auf den neuesten Stand gebracht werden. So besteht aber immer die Gefahr, dass eine an sich gewünschte Verbesserung politisch als Vorwand benutzt wird, die Betriebsgenehmigung nicht mehr zu erteilen, was zu unnötigen Verzögerungen von Verbesserungen führt. Ein im Grunde unmöglicher und sogar gefährlicher Zustand.
Quellenhinweis: Informationen zu Kernkraftwerken gibt es auf der Internetseite des Bundesamtes für Strahlenschutz /Link/. Insbesondere findet man dort alle meldepflichtigen Ereignisse ab 1965 im Archiv /Link/. Hier wurde der Bericht von 2001 /Link (pdf-Datei)/ verwendet. (Meldepflichtig ist alles, was in einem Kernkraftwerk unplanmäßig verläuft. Nicht meldepflichtig dagegen ist, wenn der Kernkraftwerksbetreiber aufgrund neuer Erkenntnisse tätig werden muss. Das o. g. Ereignis im Jahr 2001 im KKP 2 war somit meldepflichtig, aber das Anfang 2005 nicht.) Weiterhin wurde die Drucksache 15/5425 (04.05.2005) /Link (pdf-Datei)/ des Bundestages verwendet.
Bezüglich der Unregelmäßigkeiten in Kernkraftwerken besteht Transparenz, die auch für andere technische Gebiete (z. B. chemische Industrie) wünschenswert wäre.