(Mit einem Nachtrag vom 25.01.2013)
Kompakt:
- Die erneuerbaren Energien werden auf absehbare Zeit nicht ausreichen, den Strombedarf zu decken. Ein Ausstieg aus der Kernenergie erfordert deshalb eine Zunahme der Energieerzeugung aus Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen und dadurch eine Erhöhung des CO2-Gehalts und weiterer gesundheitsschädlicher Stoffe in der Luft.
- Durch den Einsatz von Kernkraftwerken könnte dies vermieden werden. Doch politische Interessen verhindern eine sinnvolle Lösung, als Hauptvorwand gilt das ungelöste Problem der radioaktiven Abfälle.
- Demonstrationen tragen nicht zur Lösung des Problems bei. Dies erfordert sachlichere Überlegungen von Seiten der Gegner, aber auch eine flexiblere Bereitschaft von Seiten der Befürworter, vor allem bzgl. einer sinnvollen Lösung des Abfallproblems.
Kernenergie - Wie soll es weitergehen?
Auch in Zukunft wird der Stromverbrauch in Deutschland nicht abnehmen. Der elektrische Strom wird aus fossilen Energieträgern, vor allem aus Kohle, aus regenerativen Energiequellen (Wasserkraftwerke, Windkraft, thermische Sonnenkraftwerke, Biomasse, Photovoltaik, Geothermie, Gezeitenkraftwerke) und in Kernkraftwerken hergestellt. Der elektrische Strom aus regenerativen Energiequellen wird auch in den nächsten Jahrzehnten nicht ausreichend vorhanden sein, um den Strombedarf zu decken. Der Strombedarf in Deutschland kann heute und in den nächsten Jahrzehnten zu wirtschaftlichen Preisen nur mit Kohle- und/oder Kernkraftwerken gedeckt oder im Ausland eingekauft werden. Daran führt kein Weg vorbei. Schon heute werden Zwangsabgaben auf die Kosten von Kohle- und Atomstrom für die Stromerzeugung aus regenerativen Energiequellen aufgeschlagen.
Strittig ist, ob Deutschland auf die Stromerzeugung mittels Kernkraftwerken (AKWs) verzichten soll oder nicht. Im Falle des Verzichtes auf Kernenergie brauchen wir mehr Kohlekraftwerke. Auch moderne Kohlekraftwerke erzeugen neben dem CO2 erhebliche Mengen an Staub mit gesundheitsschädlichen Substanzen, wie Schwermetalle, Stick- und Schwefeloxide. D. h. die giftigen Stoffe, die nicht herausgefiltert werden, werden sofort während des Betriebes über den Schornstein über weite Gebiete Deutschlands verteilt und können deshalb nicht mehr ordnungsgemäß entsorgt werden, sehr zum Schaden der Umwelt und der Menschen. Dagegen geben AKWs während ihres Betriebes so gut wie keine schädlichen Substanzen ab, vielmehr verbleiben diese in den Brennstäben, bis sie verbraucht („abgebrannt“) sind und ausgewechselt werden müssen.
In Deutschland gab und gibt es starke Vorbehalte gegen die Kernenergie. Zum Teil ist dies darauf zurückzuführen, dass die Kernindustrie eine relativ neue Großindustrie geworden ist, während in Deutschland noch viele vom Häuschen im Grünen mit Selbstversorgung träumen: Holz für den Kamin, ein paar Photovoltaikplatten zur Stromerzeugung auf dem Dach, Wasser aus dem Brunnen und dann aber - wie selbstverständlich - die „Segnungen“ der Technik wie Wasch- und Spülmaschine, immer fahrbereites Auto, Kühl- und Gefriergeräte in Anspruch nehmen. Hinzu kommt, dass der Mensch kein Sinnesorgan für radioaktive Strahlung hat, so dass er die damit verbundenen Gefahren nicht selbst abschätzen kann. Protestaktionen wie im Wendland geben den Menschen das Gefühl, gegen eine vermeintlich bedrohliche und anonyme Industrie- und Staatsmacht etwas ausrichten zu können und erzeugen ein Gemeinschaftsgefühl, das viele sonst vermissen.
Mit Demonstrationen allein können keine Probleme gelöst werden, sie können aber – wie es bei der Kernkraft der Fall ist – darauf hinweisen, dass die im Staat Handelnden (Politiker, hohe Beamte und Wirtschaftsbosse) nicht immer zum Wohle der Bürger, sondern oft aus Eigeninteresse handeln. Die Bürger wollen nicht mehr mittels „geschönter“ Gutachten, klein gerechneter Kostenabschätzungen und politischer Entscheidungen, deren Motivationen nur vorgeschoben sind, getäuscht werden. Auch bei der Kernkraft wird man – wenn überhaupt – nur noch weiter kommen, wenn in Zukunft mit offenen Karten gespielt wird. Wir denken, dass das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) (z. B. im Unterschied zum Helmholtz Zentrum München und einiger Politiker) bereits damit begonnen hat.
Die AKWs in Deutschland arbeiten – trotz vieler Störmeldungen – seit Jahrzehnten sicher. Es bleibt aber das wichtige Argument gegen die Kernenergie bestehen, nämlich was soll mit den „abgebrannten“ (besser: verbrauchten) Brennstäben geschehen.
Bisher haben Kernenergiegegner alles bekämpft, was dieses Problem bisher hätte lösen können, mit dem Ziel, die ganze Kernenergie zumindest in Deutschland „abzuwürgen“. Auf der anderen Seite: Die Politiker und die Verantwortlichen in der Kernindustrie sind den Weg des geringsten Widerstandes gegangen, haben das Problem vor sich hergeschoben und erst einmal die Gewinne „eingestrichen“. Als Feigenblatt – so sehen wir das – wurde am Salzstock in Gorleben „herum geforscht“, aber aus Bequemlichkeit die Untersuchung anderer, evtl. geeigneterer Standorte verhindert.
Wie könnte es aus unserer Sicht mit den verbrauchten Brennelementen weitergehen?
Der neue Brennstab ist etwa zu 98 % mit Uran 238 und zu 2 % mit Uran 235 gefüllt. In einem AKW wird die Energie nur aus der Kernspaltung des Urans 235 erzeugt. Das Uran 238 im Brennstab ist für die Stromproduktion nutzlos.
Nach der Benutzung wird der Brennstab aus dem Reaktorkessel herausgezogen. Er enthält dann immer noch das Uran 238, Reste von Uran 235, ca. 1 % Plutonium, das sich aus dem Uran 238 durch Kernumwandlung gebildet hat und einige unterschiedliche neu gebildete Stoffe, die zum Teil auch hoch radioaktiv sind. Der verbrauchte Brennstab enthält noch ca. 98 % seines anfänglichen Energieinhaltes, d. h. nur weniger als 2 % der Energie, die im Brennstab steckt, wird wirklich ausgenutzt.
Es gibt nun grundsätzlich zwei Extrem-Wege, wie man weiter verfahren könnte:
- Entweder den abgebrannten Brennstab unterirdisch lagern
- oder den Brennstab als wertvollen Rohstoff betrachten, den es noch zu verwerten gilt.
Sinnvoll wäre ein Mittelweg zwischen diesen beiden.
Brennstäbe unterirdisch lagern oder besser ausgedrückt: Die Endlagerung
Die Brennstäbe werden zunächst oberflächlich in ihren Castorbehältern oder in Wasserbecken gelagert, bis sich die schnelllebigeren Spaltprodukte in nicht radioaktive Substanzen umgewandelt haben und die Brennstäbe keine so große Hitze mehr entwickeln. Der Prozess dauert etwa 30 Jahre. Aber auch eine wesentlich längere oberirdische Lagerzeit wäre kein Fehler. Danach werden die Brennstäbe zerkleinert, in Glas eingeschmolzen und in Fässern eingelagert. Danach sind die Fässer in ein geeignetes Lager zu bringen.
Wir halten es für eine Horrorvision, dass die Fässer mindestens 1 Million Jahre dort unbeschadet liegen müssten. Aus unserer Sicht würden 500 Jahre sichere Lagerung ausreichen. Ggf. könnte man die Fässer dann „umbetten“. Wenn sie durchgerostet sind, würde man die Glaskörper mit dem radioaktiven Material in neuen Fässern unterbringen. Die Barriere ist nicht die Fasswand, sondern das Glas, in das der Brennstab eingeschmolzen ist. Möglicherweise könnten unsere Nachfahren die Brennstäbe wieder holen und sie als Rohstoff verwenden.
Die verbrauchten Brennstäbe: Ein wertvoller Rohstoff
Die Brennstäbe werden aufgearbeitet. Das könnte auch nach 30 Jahren oder später geschehen. Dabei werden das entstandene Plutonium und die anderen radioaktiven Spaltprodukte abgetrennt. Das Plutonium wird in AKWs an Stelle von Uran 235 verwendet und damit sicher und gewinnbringend vernichtet. Die radioaktiven Spaltprodukte werden entweder endgelagert oder – und das wäre der bessere Weg – in speziell dafür gebauten Reaktoren in harmlose Endprodukte umgewandelt (Transmutation). Das Uran 238, das sich noch weitgehend unverändert in den verbrauchten Brennstäben der AKWs befindet, kann - ebenfalls in speziellen Reaktoren wie etwa dem schnellen Brüter - in wertvolles Ausgangsmaterial für „normale“ Kernkraftwerke umgewandelt werden. Durch dieses Recycling können die weltweiten Uranreserven, die sonst nur ein- bis zweihundert Jahre ausreichen würden, mehrere Jahrtausende halten und es würden weniger langlebige radioaktive Produkte übrig bleiben. Damit würde auch die Endlagerung des verbleibenden Materials wesentlich einfacher werden.
Die einzelnen o. g. Schritte sind teilweise noch im Forschungsstadium.
- So muss die Wiederaufbereitung der verbrauchten Brennstäbe verbessert werden. Die Anlagen in La Hague und Sellafield waren ursprünglich als militärische Anlagen errichtet worden und zu der Zeit hat man u. E. nur wenig Rücksicht auf die Umwelt genommen. Der radioaktive Müll wurde teilweise einfach ins Meer „entsorgt“. Neue Anlagen müssten also wesentlich verbessert werden.
- Die Technik zum „Erbrüten“ von neuem Spaltmaterial für AKWs dürfte aufgrund der Antiatombewegung in Deutschland verloren gegangen sein (es gab sogar Steuergeld dafür, dieses Wissen zu vernichten) und müsste neu erarbeitet oder als Lizenz im Ausland gekauft werden.
- Die Transmutations-Technologie (Quelle: Physik Journal 9 (2010) Nr. 11, Seite 33 ff.) steht erst am Anfang und es ist noch offen, ob sie überhaupt wie gedacht funktionieren wird.
Was müsste also jetzt geschehen?
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Salzstöcke als möglicher Ort für eine Endlagerung in Betracht gezogen. Dann wurde aus politischen und nicht wissenschaftlichen Gründen der Salzstock bei Gorleben als Endlager auserkoren und auf Eignung untersucht. Dabei gehen wir davon aus, dass nicht alle Abläufe korrekt waren und deshalb die Menschen hier zu Recht misstrauisch sind. Nach einer Unterbrechung von zehn Jahren werden diese Untersuchungen nun fortgesetzt. Obwohl diese Untersuchungen angeblich „ergebnisoffen“ geführt werden, tun einige Politiker – insbesondere aus Bayern – so, als ob dieser Standort schon das Endlager wäre. Dieses Politikerverhalten ist nicht die oben geforderte Ehrlichkeit. Es müsste jetzt schon begonnen werden, alternative Standorte zu untersuchen. Evtl. können ja auch mehrere Endlager genutzt werden. Zur Prüfung gehört auch unbedingt, Wege zu finden, dass die Bevölkerung in der Nähe eines Endlagers nicht benachteiligt wird. Auch nicht durch Verschandlung der Landschaft oder Emissionen durch das erhöhte Verkehrsaufkommen.
Zwischenlager für Castorbehälter aus der Wiederaufbereitungsanlage können im Prinzip auch auf dem Gelände von Kernkraftwerken errichtet werden. Wenn sich solche Zwischenlager auch in anderen Bundesländern befänden, könnte es die jeweiligen Landesregierungen dazu beflügeln, sich stärker um die Endlagerung zu kümmern.
Der o. g. Weg zur Nutzung der Brennelemente sollte zumindest in Europa einschließlich Russland in Angriff genommen werden und nicht im nationalen Alleingang beschritten werden. (Beim Einbeziehen der USA wären Schiffstransporte erforderlich, wobei radioaktives Material ins Meer gelangen könnte.)
Natürlich würden wir es begrüßen, wenn die Kernenergie durch regenerative Energien ersetzt werden könnte, ohne dass dies auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion, Schädigung des Grundwassers (z. B. durch Gülle) und Verwüstung (z. B. Monokulturen, vegetationslosen Flächen) unseres Planeten geht. Da wir glauben, dass dies auch in den nächsten Jahren nicht funktionieren wird, müssen wir u. E. neben der Kohle auch die Option Kernenergie noch solange offen halten.
25.11.2010 gmr
Nachtrag vom 25.01.2013
Transmutations-Technologie (MYRRHA-Projekt)
Ein dritter Weg, die abgebrannten Brennstäbe zu entsorgen, wäre die Umwandlung (Transmutation) der radioaktiven Abfälle in solche Stoffe, die nicht mehr radioaktiv sind; die anderen beiden Wege sind die Endlagerung und die Wiederaufarbeitung. Für die Umwandlung wurde in Belgien das Projekt MYRRHA initiiert /Link/.
Geplant ist, im Rahmen von MYRRHA am Kernforschungszentrum SCK•CEN in Mol einen (Atom-)Reaktor mit einer intensiven Neutronenquelle zu koppeln.
Der Clou dabei ist, dass der Reaktor unterkritisch betrieben wird. D. h. im Reaktor werden weniger Neutronen erzeugt, als zur Aufrechterhaltung einer selbstständigen - d. h. kritischen - Kettenreaktion benötigt werden. Die fehlenden Neutronen für diese -unterkritische - Kettenreaktion sollen von einer angekoppelten Neutronenquelle geliefert werden. Die Neutronenquelle wird mithilfe eines Beschleunigers aufgebaut. Dadurch ist der Reaktor inhärent sicher. Falls nämlich ein Problem auftritt, kann der Beschleuniger und damit automatisch auch der Reaktor sofort per Schalter, der die Stromzufuhr zum Beschleuniger unterbricht, abgeschaltet werden (Für technisch Interessierte).
In den Reaktor kann man dann (neben dem spaltbaren Material) die Stoffe einbringen, die man unschädlich machen will (z. B. Stoffe in verbrauchten Brennstäben) oder man setzt gleich die abgebrannten Brennstäbe aus den normalen Kernkraftwerken ein, die hierfür noch genügend spaltbares Material enthalten. Mit den Neutronen aus den (von der Neutronenquelle aufrecht erhaltenen) Kettenreaktionen sollen die im Reaktor befindlichen radioaktiven Stoffe in Stoffe mit wesentlich niedrigeren Halbwertszeiten umgewandelt werden, die dann mit geringeren Problemen entsorgt werden könnten. - Soweit die optimistischen Hoffnungen.
Neben der Entsorgung von radioaktiven Stoffen könnten im Reaktor auch die für die Nuklearmedizin erforderlichen Isotope hergestellt werden oder der Reaktor kann für die Materialforschung eingesetzt werden.
Planung:
2010 bis 2014: Planung der Anlage, Begutachtung der Pläne und Planung der begleitenden Forschungsprogramme dazu /Link/
Suche eines internationalen Konsortiums, das auch die Kosten übernimmt
2015 bis 2019: Bau der Anlage
2020 bis 2022: Arbeiten mit der Anlage
Voraussichtliche Kosten: 960 Millionen Euro (Stand 2009)
Bei diesem Projekt bestehen allerdings auch viele Bedenken:
Es muss geklärt werden, ob man überhaupt eine so starke Neutronenquelle bauen kann, die genügend betriebssicher ist.
Der Reaktor selbst soll mit recht unterschiedlichen Materialen bestückt werden können und soll dann zuverlässig funktionieren. Man muss auch erst noch erforschen, ob das mit der Umwandlung überhaupt so funktioniert und das noch zu einem Preis, der konkurrenzfähig zur Entsorgung oder Wiederaufbereitung ist.
Die bei der Kettenreaktion freiwerdende Wärme soll in elektrische Energie umgewandelt werden. Davon wird ein Teil für den Beschleuniger benötigt. Der Rest kann ins Netz eingespeist werden. Wieweit bei der unterkritischen Kettenreaktion die Nachwärme bei einem Störfall ein Problem darstellt, können wir nicht beurteilen. Nicht ganz unproblematisch scheint uns auch der Aufbau der Kühlkreisläufe zu sein. Weiterhin muss geklärt werden, ob das Design wirklich so flexibel ist, dass die vorgesehenen Anwendungen möglich sind.
Im Moment scheinen die Zweifel zu überwiegen, so dass es offen ist, ob das Projekt überhaupt in Gang kommen wird.
Trotz der schweren Bedenken sollte man u. E. alle Wege für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle sorgfältig prüfen. In Gorleben wurden schon viele größere Geldsummen investiert und es ist noch völlig offen, ob die Investitionen erfolgreich sein werden.
25.01.2013 gr